Ich habe da diese wunderbare Freundin, die vor vielen Jahren mit Anfang zwanzig von Deutschland nach Schottland ausgewandert ist. Zu einem Zeitpunkt, als mein eigenes Englisch nur Rübenkraut war und ich vor Fremdsprachen so Angst hatte, dass ich nicht mal an der Rezeption im spanischen Urlaubshotel nach dem Weg zum Strand fragen konnte, ohne innerlich zu sterben. Diese Freundin begann ein neues Leben in einem anderen Land – trotz mehrerer mentaler Erkrankungen und Struggles, mit einem inzwischen abgeschlossenen Fernstudium an der Angel, suchte sich allein eine Bleibe in Edinburgh, jobbte in Callcentern, modelte nebenbei und brachte sich historisches Handwerk wie Brotbacken und Kräuterwissen selbst bei. Irgendwann hatte sie dann einen flauschigen Hund und inzwischen ist sie ein Outdoor-Hobbit, der im Meer Eisbaden geht und am Strand zeltet. Und genau diese junge Frau schrieb mir vor nicht allzu langer Zeit: „Ach, bei mir passiert nicht viel, mein Leben ist ja eher langweilig.“
Ich dachte, ich flieg vom Hocker. Ich wollte sie schütteln, aufrütteln und gleichzeitig lachen. Ihr Ernst?!
Und sie ist nicht die einzige, von der ich immer wieder diesen Satz höre: Mein Leben ist langweilig.
Was uns dieses Gefühl gibt, warum wir sofort damit aufhören müssen, uns zu vergleichen und wie wir von dem Gedanken der Langweiligkeit und Bedeutungslosigkeit unseres Lebens wegkommen:
Ja, ich weiß, weshalb mir Leute immer wieder diesen Satz schreiben: Hinter Mein Leben ist langweilig steckt oft ausgesprochen oder unausgesprochen der Nachsatz „… und nicht so aufregend wie deins.“
Klar, ich reise viel, ich bin selbstständig, ich hab ‘nen Schinken veröffentlicht, mein Mann ist 900 Jahre älter als ich und erzählt mir abends immer von den Dinosauriern und ab und zu wandere ich zwanzig Kilometer in einen Wald. Sowas sieht geballt auf Social Media oder diesem Blog immer nach einem Leben aus, in dem sich zwischen Paradies, grenzenloser Freiheit und Fame ein Kracher nach dem anderen jagt. Und obwohl meine Beiträge immer authentisch, ehrlich und ohne Click-Bait-Absicht sind, sind sie trotzdem ausgewählte Highlights – und zugleich nur ein Ausschnitt meines Lebens. Es gibt zig Tage, an denen putze ich bloß mein Bad, mache Steuern, fahre einkaufen, arbeite den ganzen Tag am Computer, hab ‘nen ätzenden, 800-Euro-Werkstatttermin oder kann nachts nicht schlafen, weil ich wegen irgendwas Overthinking betreibe.
Das Leben von Menschen im Internet zu verfolgen, ist so, als würde man an einem fremden Haus vorbeigehen und könnte für eine halbe Minute ins aufgeräumte, gemütliche Kaminzimmer blicken. Aber hast du mal den dreckigen Flur gesehen? Die Chaos-Küche? Oder den verschimmelten Keller mit den dreitausend kaputten, überflüssigen Gartenmöbeln? Nein, natürlich nicht. Weil der Mensch dazu tendiert, über die schönen, neuen und spannenden Erlebnisse zu berichten – und nicht darüber, wie gestern die Klobürste abgebrochen ist oder die Katze auf das Kopfkissen gereihert hat.
Social Media, das Internet, aber auch Filme, Serien, Dokus und Bücher – egal wie „reality“ – sind immer nur ein Ausschnitt aus dem Leben eines anderen. Ein Ausschnitt, der suggeriert, dass bei jemand anderem – besonders bei Leuten aus der Reise-Bubble – pausenlos etwas Aufregendes passiert, während man selbst ja bloß im Büro und beim Bäcker war.
Leute, bitte bedenkt jedes einzelne Mal, wenn ihr einen Abenteuer-, Lebens- oder Reisebericht seht: Ihr seht nur vielleicht zehn Prozent von dem, was diese Person und ihren Alltag wirklich ausmacht. Niemand, wirklich niemand, ist 365 Tage im Jahr ausschließlich selbstbewusst, stark, gesund, glücklich, sorgenfrei und pausenlos auf ‘ner butterweichen Wolke am Sandstrand unterwegs. Nein, nicht mal Leute, die jeden Tag ihr geilstes Sonnenuntergangsfoto aus dem Van teilen.
Ein anderes Problem ist, dass wir Menschen uns selten die Fotos und Geschichten anderer Leute ansehen oder anhören können, ohne uns zu vergleichen. Denen geht es besser, bei mir ist das anders, ich wäre auch gerne so, warum können die das und ich nicht? Das Ganze wird weiter durch die bruchstückhafte Wahrnehmung der Realität verzerrt, die ich eben beschrieben habe. Umso obsoleter ist ein Vergleich. Denn wir vergleichen uns gar nicht mit dem wahren Leben anderer Menschen, sondern nur mit dem winzigen Highlight-Ausschnitt, den wir öffentlich zu sehen bekommen. Das ist ja so, als müsste ich entscheiden, welche Farbe meine Lieblingsfarbe ist, und zur Auswahl bekomme ich nur Gelb. Ich meine, hä?
Ich weiß, es ist schwer in Zeiten von Likes, Klickzahlen, KI, Filtern für Körper und Landschaften, aufgebauschten Videos mit dramatischer Musik und fetten Schlagzeilen nicht den Kragen zu verlieren und den Kopf zu behalten – aber hört auf, euch mit dem Leben anderer zu vergleichen. Habt Vorbilder oder sammelt Inspirationen und Zitate, die euch Kraft und Mut geben, aber versackt nicht in Vergleichen, die euch leer, ausgelaugt und hoffnungslos zurücklassen. Schaltet den Mist ab, scrollt weiter, tut euch das nicht an.
Es ist dabei recht einfach, zu unterscheiden:
Die Inhalte, die euch etwas bringen, lassen euch mit einem guten Gefühl und Tatendrang zurück – die Inhalte, die euch nur in eine Vergleichsspirale schmeißen, hinterlassen euch mit geringem Selbstbewusstsein, Antriebslosigkeit und vielleicht sogar Neid, Trauer und Wut.
Und ganz ehrlich: Es wird immer jemandem auf dieser Welt geben, der etwas besser, höher und erfolgreicher macht als ihr. Ich könnte jetzt bei minus 30 Grad im Schneesturm aufs Matterhorn steigen und trotzdem würde ich niemals an jemanden wie Reinhold Messner heranreichen.
Aber das muss ich auch nicht, denn ich lebe mein Leben und nicht das Leben von jemand anderem.
Was aber, wenn du wirklich das Gefühl hast, in deinem Leben passiert zu wenig? Was, wenn es stimmt und nicht nur im Vergleich mit anderen so scheint?
Mach dir eine Liste mit Dingen, die du gern erreichen, tun oder haben möchtest. Wenn dir zuerst nicht viel einfällt, überlege, was dich im Alltag manchmal zum Lächeln bringt und was dir Freude bereitet - auch wenn es etwas ganz Kleines wie Entenküken oder Kürbissuppe ist. Dann mach dir eine Liste mit Dingen, die du schon erreicht und getan hast.
Hab keine Scheu und stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Du bist nicht „bloß Mutter“ oder „strickst nur“ oder hast „nur ein paar Jahre Berufserfahrung“. Du warst nicht „nur im Harz“, hast „bloß eine kleine Wohnung“ und bist „nicht besonders.“
Du bist besonders, weil es dich nur ein einziges Mal auf der Welt genau so gibt. Unter acht Milliarden Menschen gibt es nur ein „Du“. Das bist du! Krass! Und du hast ganz schön viel erreicht. Du hast laufen und sprechen gelernt, warst in der Schule, hast mit Krankheiten und Dämonen gekämpft, manchmal vielleicht auch mit den Menschen um dich herum. Vielleicht bist du Angestellter oder Chef, Elternteil und/oder Kind. Du hast verloren und gewonnen, du hast viele Dinge überlebt, bei denen man sich im Nachhinein fragt: "Wie nur?!" Aber du bist noch da!
Jede Rolle, die du ausfüllst, ist voller Arbeit, Verantwortung und reichert sich ganz automatisch mit immer mehr Lebenserfahrung an. Was du bisher geschafft hast, ist nicht langweilig – es ist verdammt viel! Mehr als auf ‘ne Kuhhaut geht.
Und wenn dir doch noch etwas fehlt – schreib es auf die andere Liste. Lass die Träume groß sein, irrational, setz dir keine Denkblockaden, sondern sieh es als Brainstorming. Sei wild! Dann überlege, was dich bisher davon abgehalten hat. Kann man daran etwas ändern? Kann man vielleicht erstmal klein anfangen? Ein erster Schritt in eine Richtung statt gleich den ganzen Marathon? Gibt es jemanden, der dir helfen könnte? Wie viel von all dem ist ein harter Grund wie eine Erkrankung oder trübe Finanzen – und wie viel davon ist nur die eigene Angst, die Angst vor Veränderung, der Erwartungsdruck anderer und ein „Das geht aber nicht…!“ im Kopf? Wie viel Glück und Mikro-Abenteuer sind trotz einer Erkrankung oder wenig Geld möglich? Auch darüber habe ich schon einmal geschrieben. Guckst du hier:
Scheißtag – 5 Dinge, die deinen Alltag schnell und kostenlos schöner machen
Sei nicht hart zu dir. Dein Leben ist nicht langweilig, du hast nur zu lange in die Fenster fremder Häuser gestarrt und dich kleingeredet, statt zu schauen, wie hell dein eigenes Licht schon brennt – und noch brennen kann.
Wenn du magst, kannst du meinen Geschichten, Inspirationen, und Gedanken täglich auf Instagram folgen: @squirrel.sarah.
Weitere Denkanstöße findest du hier: