„Was ist das denn für ein blödes Foto?“, beschwere ich mich bei meinem Mann. Wir sind im Sequoia National Park in Kalifornien – dem Epizentrum für tausendjährige, rote Mammutbäume. Um die abnormale Größe der Bäume besser darzustellen, wollte ich, dass mein Männe mich neben einem der Gewächse vom Stamm bis zur Krone fotografiert. Toll, jetzt sieht man da nur mich und ‘ne Wurzel!
„Sarah“, erklärt er mir in seiner unerschütterlichen Ruhe, die oft das Wasser zu meinem Feuer ist. „Ich bin schon im Weitwinkelbereich, mehr als die Wurzel passt nicht drauf. Der Baum ist viel zu groß. Aber ist das nicht genau das, was du zeigen wolltest?“
Ich starre auf das Kamera-Display. Ja. Schon. Verdammt. Wie riesig sind bitte diese
Bäume?!
Wir sind auf einem Camping-Trip mit Auto und Zelt von Wyoming durch Utah bis nach Kalifornien. Vier Nationalparks, Canyons, Wüsten, Urwald und brachiale Landschaften, die einen im Bewusstsein zur Größe einer Ameise schrumpfen lassen. Zweieinhalb Wochen draußen ohne feste Wände, mit Strom aus Sonnenenergie, Wasser aus einem Container und Essen vom Gaskocher. Von Over-Tourism über Kometen bis zu brennenden Bäumen und Zelten im Schnee. Auf geht’s!
Die erste Nacht läuft fantastisch. Wir haben uns ein neues Plastik-Tarp gegönnt, das man zur Schonung des dünnen Zeltbodens unter dem Zelt ausbreiten kann. Leider installieren wir es so dusselig, dass dadurch das Zelt-Innere beim nächtlichen Starkregen flutet. Nach dem Aufwachen packe ich in die Wasserlache neben mir, während ich den stellenweise durchweichten Daunenschlafsack anstarre. Wenn echte Daune nass wird, kann sie verkleben und ihre wichtigste Funktion verlieren: Wärmen. Es sind übrigens nur vier Grad.
Wir beschließen, alles auseinanderzunehmen und zum Trocknen den Tag über in die Bäume ringsum zu hängen. Als mein Mann das Zelt umstülpt, macht es flatsch.
Ich starre auf den Beutel mit Kleidung, der jetzt im Wasser schwimmt. „Das waren meine gesamten,
trockenen Wechselklamotten!“, rufe ich entgeistert. Weil wir erst vor drei Tagen geheiratet haben, füge ich hinzu: „Ich lass mich scheiden!“ Dann lachen wir blöde.
In den nächsten zwei Tagen schauen wir uns den Zion National Park an, den wir beide unabhängig voneinander schon einmal vor vielen Jahren gesehen haben. Inzwischen ist er so überfüllt, dass man selbst morgens um acht Uhr schon keinen Parkplatz mehr bekommt. Und für die größte Wanderung – Angels Landung – werden Lotterie-Tickets vergeben, weil der Trail den Ansturm an Menschen nicht mehr packt.
So ist dann auch unsere Erfahrung im Park. Keine Frage, die roten Felswände, das grüne Tal, der blaue Fluss: es ist ein Paradies und sicherlich einer der schönsten Nationalparks der USA. Aber einfach überall sind Menschen. Laute Menschen. Die Wanderung zu den Emerald Pools fühlt sich zeitweise an wie die Schlange auf dem Weg zum Gipfel des Everests. Ich versuche, die ganzen Leute auszublenden, doch es gelingt nicht immer. Und dann sind wir ja schließlich auch hier. Teil des Problems. So toll der Park landschaftlich auch ist – ich würde nicht nochmal hinfahren.
„Da ist was am Himmel!“, rufe ich und springe aus dem Campingstuhl auf.
Es ist dunkel und wir sitzen zwischen großen, murmelförmigen Felsen im Joshua Tree National Park in Kalifornien – unserem nächsten Stopp. Über uns ein Meer aus Sternen, am Horizont noch ganz schwach die bleiche Erinnerung an einen orangenen Sonnenuntergang.
„Wo?“, fragt mein Mann und blinzelt.
Da ist ein Strich am Himmel, kaum zu erkennen mit bloßem Auge, ich bin mir selbst nicht sicher. Aber auf einmal erinnere ich mich daran, dass unser Fotografen-Wissenschafts-Geek-Nachbar uns vor der Abfahrt von einem Kometen erzählt hat, der aktuell am Himmel stehen soll. Der Tsuchinshan-ATLAS-Komet. Der heißt wirklich so.
Ich fetze weg, hole mein Stativ und mache eine Langzeitbelichtung. Und da ist er! Hell und klar auf dem Display zu erkennen. Wow! Ich springe herum wie ein Eichhörnchen. „Der Komeeeet! Guck doch!“, rufe ich und fuchtel aufgeregt. Wie irre ist das denn, das wir ausgerechnet jetzt in einer sternenklaren Wüste campen, um dieses Wunder zu sehen?!
Am nächsten Abend möchte ich meinem Mann etwas zeigen, das mir 2017 auf meiner großen Soloreise durch die USA ein lieber Freund gezeigt hat, der inzwischen leider verstorben ist. Frank aus Los Angeles.
Er hat mich damals bei Sonnenuntergang mit zum Cholla Cactus Garden im Joshua Tree National Park genommen. Dann, wenn die Nadeln der Kakteen im Abendlicht weiß wie ein Heiligenschein leuchten.
Als wir ankommen, sieht es genau so aus wie damals. Ich freue mich unheimlich, diesen tollen Ort jetzt mit meinem Männe sehen zu können und damit ein Stück von Franks Geschichte weiterzugeben. Als ich irgendwann aufschaue, sehe ich eine Nebensonne am Himmel – Lichtflecke, die wie kleine Regenbögen aussehen. Na, wenn das nicht Frank ist! Ich winke.
Am selben Abend sehen wir einen feurigen Sonnenuntergang, in dem rote, pinke, orange und blaue Streifen hinter den knorrig geformten Joshua Trees ineinander übergehen.
Sonne gibt es hier reichlich, was super ist für unsere mobilen Solarplatten, mit denen wir unsere Speicherbatterie aufladen – unsere einzige Energiequelle in den zweieinhalb Wochen unterwegs. Wenn wir campen, laden wir sie mit Sonnenenergie auf, wenn wir fahren, mit Motorenergie vom Auto. Mit ihr können wir bequem Handys, Kamera-Akkus, Laptop und einen kleinen Kühlschrank mit Strom versorgen.
Von Joshua Tree geht’s zum Sequoia National Park. Dort hauen mich zwei Dinge um: Die unfassbare Größe der Sequoia-Bäume mit bis zu 80 Metern Höhe (wirklich kein Foto kommt an die Realität ran!) und die riesigen, verbrannten Flächen im Park. Hier hat 2021 das KNP Complex Feuer gewütet. Ausgelöst durch Blitzeinschläge, haben sich zwei Feuer zu einem Riesen-Inferno verbunden. Das war allerdings nur möglich, weil in dem Gebiet eine seit Jahren unnormale Trockenheit herrscht, die es so seit Beginn der Aufzeichnungen noch nie gab.
Auch wenn der National Park Service die Natur normalerweise ohne menschliche Eingriffe gewähren lässt (das ist u.a. der Sinn eines Nationalparks), wurde hier versucht, einige der größten Schätze unserer Zeit zu schützen: unter anderem wurde der untere Teil des größten Baums der Welt – „General Sherman“– in Isolierfolien gewickelt. Die Bilder von Feuerwehrleuten, die in dichtem Rauch irgendwie hilflos mit der Folie hantieren, sind erschütternd für jeden, der Empathie empfinden kann. Scheißegal, ob du an den Klimawandel glaubst oder nicht: it is happening anyway und die Folgen sind erschütternd. Einfach mal rausgehen und es sich mit eigenen Augen und dem eigenen Herzen anschauen.
Einige der Bäume hier sind zwischen 2000 und 3000 Jahre alt. Die waren schon da, als die
Ägypter, Griechen und Römer gelebt haben – macht einen das nicht unglaublich klein und bescheiden?! Bis ein Sequoia-Baum so markant groß und rot ist, vergehen eintausend Jahre. Das sind
knapp 33 Generationen an Menschen. Mal angenommen, einer dieser Bäume stirbt und es wächst sofort ein neuer – dann werden trotzdem 33 Generationen nach uns den Baum nicht so sehen können,
wie wir ihn jetzt in diesem Moment sehen. Kaum anderswo wird es so deutlich: Wir haben diese Welt nur von unseren Kindern und Enkeln geborgt.
Übrigens: Im kleinen Ausmaß ist Feuer für Sequoias sogar wichtig und gut. Die Tannenzapfen der Bäume öffnen sich nämlich nur unter großer Hitze und erst dann werden die Samen freigesetzt. Komplett ohne Feuer würden die Giganten also langfristig auch aussterben. Wie immer ist „alles in Maßen“ das Rezept. Etwas, das wir neu erlernen könnten.
Auf der letzten Strecke unserer Tour wird es kalt. So kalt, dass es schneit und dass wir die Solarenergie gar nicht mehr so umfassend brauchen, denn wir können unseren Haupt-Stromfresser – den Kühlschrank – bei unter vier Grad Außentemperatur auch ohne Extra-Kühlung im Auto belassen.
Wir sind im Yosemite National Park. Hier blüht in diesem Jahr Ende Oktober der Indian Summer auf. Gelbes, rotes und grünes Laub bedeckt die steilen Hänge neben der Straße.
Und dann sind wir am Aussichtspunkt über das Yosemite-Tal. Wow! Monumentale Granitkuppeln,
deren Steilwände tausend Meter senkrecht in die Tiefe fallen, massive Blöcke wie Kathedralen, eine unglaubliche Wucht und Stille. Wenn nur ein Körnchen davon abbrechen würde, wäre der gesamte
Parkplatz mit 50 Menschen platt. Zum zwöfzigsten Mal bin ich stumm und ehrfürchtig auf diesem Trip.
Drei Tage verbringen wir im Park. Wir wandern auf dem John Muir Trail zu den Vernal Falls, entdecken den Inspiration Point und meandern auf dem Valley Loop Trail durch das enge Tal mit den fetten Felswänden links und rechts. Wie eine Ameise komme ich mir vor. Wie ein Augenzucken in der Geschichte des Universums.
Zuletzt kommen wir auf dem Weg zurück nach Wyoming noch durch Idaho. Dort gibt es das Craters
of the Moon National Monument. Ein Ort, an dem sich schwarze, versteinerte Lava bis zum Horizont erstreckt. Unwirklich. Und an diesem Tag komplett verschneit.
„Sarah, wollen wir da wirklich zelten?“, fragt mein Mann. Nachts sind minus fünf Grad angesagt. Unser Equipment ist dafür nicht wirklich ausgelegt.
„Auf jeden Fall!“, rufe ich enthusiastisch. Camping im Schnee. Hab ich noch nie gemacht. Muss ich jetzt unbedingt machen!
Es stellt sich heraus, dass wir die einzigen Armleuchter sind, die in dieser Nacht in den Mondkratern zelten. Die Typen vom Besucherzentrum gucken uns merkwürdig an. Dann fahren sie um 17 Uhr in den Feierabend in ihre warmen Wohnungen und wir sind allein. Die Sonne geht unter. Es wird kalt. Nein, eiskalt. Ich möchte am liebsten in das brodelnde Wasser auf dem Gaskocher springen. Wer wollte hier unbedingt im Schnee zelten?
Nachts liege ich wach im Zelt. Die Plane glitzert auf der Innenseite. Eis. Ich wälze mich herum. Jedes Mal, wenn ich mich von meinem Mann wegdrehe, wird die von ihm abgewandte Seite von mir kalt. Ich stelle mir vor, dass ich ein kleiner Eisplanet im Weltall bin. Dann mache ich in Gedanken eine Liste an warmer Kleidung und Arktis-Ausrüstung, die wir noch beschaffen müssen, bevor ich das nächste Mal so eine blöde Idee habe. Ich würde die Liste ja in mein Handy tippen, aber mein Handy ist ein Eisklotz und meine Finger krallen sich wärmesuchend in meine Kniekehlen. Am nächsten Tag sind wir dezent gerädert. Auf dem weiteren Weg nach Hause taue ich während der Fahrt zwei Stunden lang auf der Sitzheizung unseres Autos auf. „Aber wir haben im Schnee gezeltet!“, piepse ich. Und dann fühle ich mich ganz kurz für einen Moment ganz groß.
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