Sternenstaub und rote Riesen –

Roadtrip USA Südwesten I.

7. November 2021

Lower Antelope Canyon, Arizona, Roadtrip USA Südwesten
Surreale Landschaften und Canyons auf dem Weg durch Utah und Arizona

Im großen Trinkwasserkanister auf der umgeklappten Rückbank im Auto schwappt es geräuschvoll, die Plastikbox mit dem Gaskocher steckt fest hinter dem Fahrersitz und im Fußraum summt unsere 1.000-Watt-Batterie, aufladbar über Solarpaneele. Wir sind auf einem Roadtrip 5.000 Kilometer durch den Südwesten der USA. Einen Monat lang. Von Wyoming durch Utah, Arizona, New Mexico und Colorado. Mit einem Zelt und einer „Off-the-Grid“-Ausrüstung, mit der wir ein paar Tage so leben können wie Mowgli, das Dschungelkind. Das seltsamerweise ganz ohne Trinkwasserkanister und Batterien klargekommen ist.

 

Vor uns liegen 12 Nationalparks und Naturparks, Wüsten, Canyons, Sterne, unendliche Straßen, heiße Staubstürme und eiskalte Nächte.

Im ersten Teil unseres Reiseberichts nehme ich euch mit zu dunkelroten Felsriesen im Capitol Reef National Park, tausenden orangefarbenen Hoodoos im Bryce Canyon, tanzendem Staub im surrealen Lower Antelope Canyon und zu einem atemberaubenden Sonnenaufgang mit Sternen im Monument Valley – im offenen Geländewagen mit Bulldozer-Harry.

Capitol Reef National Park – Seegurken in der Wüste?

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Rote Felsklippen überall!

Der Capitol Reef National Park in Utah ist sowas wie das Atlantis der amerikanischen Nationalparks. Viele haben davon gehört, aber keiner hat’s gesehen. Was soll das überhaupt sein – ein Capitol Reef? Ist das ein Riff unter Wasser mit Seegurken am Grund?

Mein Freund meint, ich müsse den Park „unbedingt mal sehen“. Und weil ich immer alles „unbedingt mal sehen“ möchte, was ich noch nicht kenne, bin ich sofort dabei. Seegurken und alles.

 

Als wir uns dem Park nähern, türmt sich in der bunten Landschaft plötzlich eine dunkelrote Wand auf, die aussieht wie ein Schwamm mit vertikalen Wellen. Ich werfe vor Begeisterung fast meine Kamera aus dem Autofenster. „Warte mal ab, das wird noch besser!“, sagt mein Freund hoheitsvoll.

Ich hasse warten. „Fahr schneller“, sage ich. Er deutet auf das fette Wohnmobil vor uns, das mit seiner rasenden Einbauküche und drei Stundenkilometern vor uns herschnauft. Zur Freude aller anderen Verkehrsteilnehmer, die nicht in einem fetten Wohnmobil unterwegs sind.

Dann auf einmal öffnet sich ein weites, feuriges Tal aus Sandstaub mit massiven Felsriesen und knallroten Formationen, die aussehen wie schiefe Sakralbauten.

„Fahr langsamer!“, rufe ich und blicke die roten Giganten an. Totenstill stehen sie in der Hitze der Sonne mit einer Aussagekraft, die lauter ist als Donnern. Und keine Seegurke in Sicht.

Wandern im Capitol Reef National Park

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Hickman Natural Bridge im Capitol Reef National Park

Wir schlagen unser Zelt in einem der Campgrounds im nahegelegenen National Forest auf. Wenn man keine rasende Einbauküche vom Ausmaß eines Kreuzfahrtschiffs dabei hat und nicht unbedingt mit der Nase direkt im Eingang des Nationalparks campen muss, bekommt man in den National Forests in der Umgebung meist spontan ohne Reservierung einen Platz.

 

In den kommenden Tagen wandern wir viel durch das Capitol Reef. Zu einer massiven Felsbrücke, die im Abendlicht geheimnisvoll leuchtet, als hätte die Natur irgendwo Scheinwerfer versteckt. Durch den Grand Wash – einen saisonal trockenen Canyon (das gibt hier nix mehr mit dem Wasser und der Seegurke) mit unfassbar hohen und klobigen Steinwänden, die von beiden Seiten näher zu kommen scheinen. Und zum Chimney Rock, einem Schornstein-Felsen, der wie ein Märchenturm aus dem Boden zu wachsen scheint. Wir schuften den Berg hinauf, bis wir auf gleicher Höhe mit der Spitze des Felsens stehen. Von dort oben breitet sich der gesamte Capitol Reef National Park wie ein Miniaturland aus roten Legosteinen aus. Die Straße so breit wie ein Schnürsenkel, Autos so klein wie Schmeißfliegen.

 

Warum heißt das Capitol Reef denn jetzt Capitol Reef? Den ersten Siedlern in der Region fielen die wenigen weißen und runden Felsen zwischen den roten Riesen auf und sie fühlten sich an das Capitol in Washington erinnert. Später kamen Goldsucher und fanden steinerne „Taschen“ in einer Felswand, in denen sich Wasser gesammelt hatte – auf einer Länge von 140 Kilometern. Das erinnerte sie an ein Riff. Da haben wir jetzt aber alle was gelernt!

Die versteinerten Besucher des Bryce Canyons

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Tausende von Hoodoos im Bryce Canyon

Von dort aus fahren wir weiter zum Bryce Canyon. Hier lauert die weltweit größte Ansammlung an Hoodoos. Das ist jetzt nicht das, wo man mit einer Nadel in eine Stoffpuppe sticht.

Hoodoos sind dünne, hohe Felsnadeln, die vom Boden aus in den Himmel ragen. Geschichten von Ureinwohnern streuen den Zweifel, dass es sich um versteinerte Menschen handeln könnte. Wenn die wüssten, dass Verschwörungstheorien gerade wieder total en vogue sind!

 

Wir haben Glück und finden einen Camp-Spot direkt im Nationalpark selbst. Dann wiederum haben wir auch nicht Glück, denn der Bryce Canyon liegt auf rund 2.300 Metern Höhe und Ende September geht es hier nachts nahe an null Grad ran. Allerdings haben wir einen Mumien-Doppel-Schlafsack am Start und mein Freund verwandelt sich nachts immer eine kleine Heizung.

 

Nachdem das Wigwam steht, wandern wir auf verschiedenen Trails runter in den Bryce Canyon. Wer nur oben vom Rim-Trail aus runterglotzt, hat den Nationalpark nicht richtig erlebt. Ganz besonders magisch ist der Fairyland Loop Trail. Orange, weiß und teilweise pink erheben sich die Hoodoos in endlosen Reihen vor und neben uns. Die Canyonwände sind gepflastert mit ihnen und manchmal geht es mitten durch eine Hoodoo-Ansammlung hindurch. Ein bisschen fühlt es sich tatsächlich an, als hätte jemand die Besucher einer großen Oper von einer Sekunde auf die andere eingefroren.

Apropos frieren. Gegen Mitternacht stecke ich meine Nase aus dem Zelt. Der Bryce Canyon hat das Dark Sky Park Zertifikat, das besonders schöne und ungestörte Nachthimmel garantiert. Ich werde vermutlich erfrieren, bevor ich mein Stativ aufstellen kann. Dann ist es bewölkt. Dark Sky – indeed. Ich ziehe meine Nase zurück ins Zelt.

Lower Antelope Canyon – das ist doch nicht real, oder?

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Die seltsamen Formationen im Lower Antelope Canyon

Unser Tipi steht unter dem einzigen, künstlich angepflanzten und einigermaßen großen Baum, den der Campingplatz am Lake Powell in der sengenden Hitze zu bieten hat. Heute Nacht sind 17 Grad angesagt. Tagsüber 35. Wenn der Gaskocher versagt, schlagen wir uns einfach ein Spiegelei auf dem Autodach auf. Zweieinhalb Stunden sind es vom Bryce Canyon in Utah zum Lake Powell in Arizona. Schneller geht es kaum vom Nordpol in die Sahara.

 

Doch die Fahrt ins Höllenfeuer hat natürlich einen Grund: Hier wohnt der Lower Antelope Canyon, der auf Reservatsgebiet liegt und nur mit einer Tour besichtigt werden kann.

Als wir mit dem Guide auf den Canyon zulaufen, sieht man erst einmal gar nichts. Nur eine flache Ebene aus heißem Sandstein. Seltsam. Dann auf einmal eine schmale Eisenleiter, die in einen engen Spalt im Boden führt.

 

Der Lower Antelope Canyon ist ein unterirdisches Meisterwerk der Natur. Eine Schlucht, die so schmal und gewunden ist, dass man oft nicht beide Füße nebeneinanderstellen kann. Rot-goldenes Licht schlägt an die Sandsteinwände, die von tosenden Sturzfluten nach seltenem, aber heftigem Regen wie Wellen geformt sind. Es ist, als wäre man in einem Labyrinth aus Orangenpudding. Staub tanzt wie Glühwürmchen in einzelnen, weißen Sonnenstrahlen. Nichts an diesem Ort scheint real und doch gibt es ihn. Über eine Stunde dauert die Führung mit unserem inspirierenden Guide Xavier. Der Canyon ist etwa 40 Meter tief und Xavier zeigt uns ein Video, wie es dort während einer Sturzflut aussieht. Der Moment, in dem ich sehe, wie die Wassermassen oben aus dem Canyonspalt wieder herausschießen, während ich im gleichen Moment am Boden der Schlucht stehe, ist erschreckend und wunderschön zugleich. Wer hier unten während eines Starkregens steht, überlebt nicht.

Mit Bulldozer-Harry ins Monument Valley

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Sonnenaufgang mit Sternen im Monument Valley

„Holy Shit – wir sehen den Sonnenaufgang im Monument Valley!“, rufe ich laut und tanze herum. Gerade eben haben wir das Tal der braunen Felsgötter zwischen Utah und Arizona erreicht, da haben wir schon eine Jeeptour für sechs Uhr morgens gebucht. Zu Sternen und Sonnenaufgang. Da die „Straßen“ im Monument Valley Navajo Tribal Park nur aus Sand und Staub bestehen und wir im Sommer schon auf einer Matsch-Piste in Costa Rica festgesteckt haben, überlassen wir die Fahrt dieses Mal lieber einem Profi.

 

Der Profi ist ein knorriger, etwa 60 Jahre alter Navajo, der am nächsten Morgen im Stockdunkeln um zehn nach 6 auf den Parkplatz am Besucherzentrum rumpelt. Er ist etwas spät dran, denn er musste unterwegs noch Fotos machen. Kann ich verstehen.

„Ihr fahrt mit Harry“, hat uns kurz davor noch eine junge Dame gesagt und etwas seltsam geguckt. „Er ist… speziell.“

Harry hat Hände wie die Schaufel eines Bulldozers und eine Stimme wie Holzraspel. Er spricht fließend ironisch und war bestimmt schon neunzigtausend Mal im Monument Valley. Jedenfalls donnert er mit uns und dem Geländewagen ohne Scheinwerfer in das felsige Tal, sodass die Meteoriten nur so gegen den Unterboden schlagen.

„Der weiß auf jeden Fall, was er tut“, brülle ich selbstbewusst gegen den kalten Fahrtwind, während ich vom offenen Wagen aus in die Sterne blicke.

„Lass es uns hoffen“, sagt mein Freund lakonisch. Er legt seinen Arm um mich. Ich fühle mich kurz wie auf der Titanic. Hoffentlich sterben wir gleichzeitig.

Purpur und Gold im Monument Valley

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Spektakulärer Sonnenaufgang über den Felssäulen im Monument Valley

Kurz darauf halten wir an einer berühmten Aussicht über das Monument Valley, an der drei Felsen wie große Fäuste gigantisch nebeneinander stehen. Am dunkelblauen Himmel liegt der erste Schimmer des Morgens, gemeinsam mit Orion und Jupiter. „So viele Sterne“ flüstere ich zum wiederholten Mal auf diesem Trip. Doch Harry ist in Eile, denn er will zum Sonnenaufgang an einem ganz bestimmten Punkt im Park sein. Er scheucht uns wie ein motziger Uhu zurück auf den Wagen und poltert weiter in die Finsternis.

 

Nach einigen Minuten und Bandscheibenvorfällen erreichen wir eine Ebene mit einer Reihe spitzer Felssäulen, die sich schwarz gegen den goldenen Morgenhimmel abheben. So eine Schwärze und so einen klaren Kontrast habe ich noch nie gesehen. „Holy Shit“, sage ich.

 

Dann ziehen wundervolle Flockenwolken auf, die rot und pink glühen und die Felsen um uns herum färben sich violett. Es ist eine Farbexplosion an einem der magischsten Orte der Welt.

„Wir hatten eine Gruppe Fotografen, die spontan abgesagt hat, weil Wolken angesagt waren“, sagt Harry. Dann lacht er laut und raspelig und ein bisschen schäbig. Ich grinse ein bisschen schäbig.

Danach donnern wir im Hellen wieder zurück und Harry zeigt uns noch historische Felszeichnungen. Als wir ihn später am Tag nach einer Wanderung noch einmal sehen, winkt er uns zu.

All die großen und kleinen Momente. Hier draußen sind sie alle unendlich.

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