„Du solltest mal ein Buch schreiben“, haben sie gesagt. Ja, klar. Ich sollte mal ein Buch schreiben. Oder Lotto spielen. Oder schauen, ob ich einen Stuhl durch ein geschlossenes Fenster werfen kann, ohne dass sich danach meine Heizkostenrechnung signifikant erhöht.
Jeder hat was zu sagen. Viele Leute wollen ein Buch schreiben. Einen großen Verlag finden und Autor werden. Fast niemand schafft es. Ich bin ein Träumer. Und zugleich Realist. Wer mal googlet „Wie veröffentliche ich ein Buch?“, wird schnell herausfinden, dass niemand – und wirklich überhaupt niemand – auf neue Autoren gewartet hat. Außerdem wurde schon über alles geschrieben. Egal ob über die Weltreise eines Einbeinigen mit Huhn, über die dramatische Jugend eines Mafia-Kindes oder die magische Romanze mit einem Sterbenskranken. Das Rad ist erfunden, versuch es mal zu Fuß.
Ein Buch also, hm? Was soll’s. Warum schreibe ich nicht einfach die gesammelten Eindrücke, die ich 2017 auf meiner viermonatigen Soloreise durch die USA erlebt habe, ein bisschen schön zusammen. Aus Spaß. Weil ich’s kann. Vielleicht regnet es auch gerade und ich habe nichts Besseres vor oder ich liebe Schreiben einfach so sehr, dass ich es nicht lassen kann.
Dreieinhalb Jahre nachdem ich mein erstes Word-Dokument geöffnet habe, steckt meine Geschichte in
der Druckpresse von National Geographic. „Angst ist keine Ausrede – 13.000 Kilometer solo durch die USA“. Mein Buch ist da. Wie konnte das passieren? Und
wo gibt’s den heißen Scheiß zu kaufen?
Ich glotze meine drei Reisetagebücher an. Ja, ich schreibe immer noch oldschool Reisetagebücher mit Kuli auf Papier. Und wenn man vier Monate lang alleine 13.000 Kilometer durch ein riesiges Land gereist ist, obwohl man Angst vor Brokkoli, Flugzeugen und Nachbar’s Pfiffi hat, dann kommt da so einiges an Erfahrungen und Geschichten zusammen.
Ich blicke das weiße Word-Dokument an. Eine halbe Stunde später ist es voller Buchstaben und hat 17 Seiten. Weck mich um zwei Uhr nachts auf und ich sehe aus wie eine explodierte Eule, aber ich schreibe dir aus dem Stand heraus eine Knüller-Reportage.
Schreiben ist etwas, das ich irgendwo im Geburtskanal inhaliert haben muss. Erst habe ich diverse Lehrer in der Schülerzeitung mit satirischen Schriften und Comics irritiert, dann Praktika bei Zeitungen gemacht, dann Journalismus und Public Relations studiert. Nur um im Anschluss festzustellen, dass ich zwar wirklich unfassbar gern schreibe, aber unfassbar ausraste, wenn ich dafür zu festen Zeiten an festen Orten in einem Büro hocken muss.
Also habe ich mich nach dem besagten viermonatigen Solotrip durch die USA selbstständig gemacht. Als freie Texterin, Journalistin und Fotografin. Ortsunabhängiges Arbeiten. So weit, so gut. Aber immer noch kein Buch, hm?
Da sitze ich nun mit meiner neugewonnenen Job-Freiheit und blättere durch meine alten Reisetagebücher. Dann fange ich an, zu tippen. Wie ich damals in New York ankam, dann nach Washington DC fuhr und dann zu den Niagarafällen flog.
Nach fünf Kapiteln unterbreche ich das Projekt für den Sommer und reise vier Monate lang on und off mit Freunden und meinem Laptop durch Europa und zurück in die USA. Kann ich ja jetzt, wo ich nicht mehr im Büro hocken muss, um zu arbeiten.
Anschließend ist allerdings erstmal Zusammenbruch der Weltordnung angesagt, denn ich verliebe mich auf einem der Trips vollkommen unplanmäßig in meinen besten Freund aus den USA. Ja richtig, den habe ich auf dem besagten viermonatigen Solotrip kennengelernt.
Daraufhin schmeiße ich die ohnehin dürftigen Überreste meines konventionellen Lebens auf den Müll, kaufe mir ein Tiny House und stürze mich in eine völlig verrückte Fernbeziehung mit einem Mann, der mein Dinosaurier-Vater sein könnte. Nachdem mich auch noch eine fiese, unheilbare und chronische Autoimmunkrankheit in die Finger bekommt (Colitis Ulcerosa, viel Spaß beim Googlen!), dauert es ganz schön lange, bis ich irgendwann mal wieder meine Word-Datei öffne. Immer noch kein Buch, hm?
Ich fange wieder an. Zu schreiben. Aber erstmal lese ich, was ich bisher schon geschrieben habe.
Mein Schreibstil hat sich im vergangenen Jahr extrem verändert. Von klassischem Reiseblogger-Blah („die fünf tollsten Cafés in Spanien“) zu irgendwas zwischen Reiß-die-Hütte-ab und Scheiß-die-Wand-an. Ich habe mich verändert. Es ist Zeit für Tacheles. Keine Kompromisse mehr, keine Ausreden. Volles Rohr Leben. Und andere mitreißen. Dort Mut ins Feuer schütten, wo Träume durchnässt vor Angst liegen und verrotten.
Feuer mit Worten.
Denn Worte sind nicht bloß Striche auf Papier, Tasten am Computer oder Laute aus dem Mund. Worte
haben Macht. Worte können verändern. Vielleicht nicht die ganze Welt auf einmal, aber die ganze Welt für irgendjemanden. Und wenn meine Worte nur für einen einzigen Menschen den
Unterschied machen, dann sind sie mehr wert, als mir je jemand dafür zahlen könnte.
Da sitze ich nun, zehn Jahre nachdem ich meine Punk-Revoluzzer-Jeansjacke mit den Brandlöchern weggeworfen habe, und verstehe auf einmal, was das eigentlich heißt: den Unterschied machen.
Ich lösche die kompletten ersten Kapitel meines Buchs und fange nochmal neu an. Kein Reisetagebuch-Blah. Keine Kopie anderer Reisereportagen. Meine Geschichte. Und nur das. So wie ich bin. Das ist der verdammte Schlüssel.
Ganz so einfach ist es dann natürlich doch nicht. Unzählige Male muss mir mein Freund in den Hintern treten, damit ich noch ein Kapitel schreibe und noch eines. „Sarah wants to be an author. So Sarah is gonna be an author”, sagt er. „How ist he book coming?“
Ich rolle mit den Augen.
Immer wieder bekomme ich Nachrichten und Ermutigungen, mal ein Buch zu schreiben. Von völlig unbekannten Menschen, die meinen Blog lesen. Von ehemaligen Kommilitonen. Von denen keiner weiß, dass ich genau das seit Jahren versuche. Irgendwie.
Bis ich eines Tages, im April 2020 – dank viel Zeit wegen scheiß Lockdown und Corona-Apokalypse – verkünden kann: „Ich habe gerade das letzte Kapitel geschrieben. Boah. Fett. Jetzt erstmal einen Wein!“
Was danach folgen sollte, weiß ich leider viel zu gut. Einen Verlag finden. Ich lese mich in die Materie ein. Wie schwer bis unmöglich die Sache ist. Die Vor- und Nachteile von Literaturagenten. Die Vor- und Nachteile von Self-Publishing. Spontan bekomme ich Migräne und Krampfadern und mache erstmal: nichts.
Mein Freund rollt mit den Augen. „You made it this far!” Er will, dass ich ein Exposé schreibe und an Literaturagenten schicke. Ich habe keinen Bock auf Enttäuschungen. Ich weiß, wenn man Absagen oder Null-Reaktionen auf ein Herzensprojekt bekommt, dann knabbert das an der Psyche. Ich will niemanden an meiner Psyche knabbern lassen. Nicht ohne Salz und Pfeffer.
Irgendwann finde ich genug Pfeffer, schreibe das „Scheiß_Expose.doc“ (das heißt übrigens bis heute noch so) und schicke es an sieben Agenturen. Mit einem kodderigen Anschreiben, weil auch schon egal. Antwortet ja eh keiner.
Drei melden sich zurück. Drei Sechser im Lotto. Da möchte man doch glatt einen Stuhl durch sein geschlossenes Fenster werfen.
Zwei finden, dass ich zwar gut schreibe, aber dass Reisegeschichten entweder ausgelutscht sind oder gerade nicht zu Corona passen. Eine findet, dass meine Reiseroute durch die USA jetzt nicht die neuste Offenbarung des Johannes ist, aber dass mein Schreibstil fetzt. Wir kommen zusammen. Meine Agentin Laura ist ein Goldschatz. Sie findet die Stärken und Schwäche in der Story, sägt und feilt, faltet und bügelt so lange mit mir, bis sie sagt: „So, stimmt jetzt. Wir schicken das jetzt mit der Herbstliste raus an alle gängigen Verlage. Wenn sich davon keiner meldet, ist das Buch verbrannt.“ Naja, etwas netter hat sie es schon gesagt.
Ende 2020, nachdem ich mich schon vor Gram im Kartoffelkeller einmauern möchte, meldet sich auf einmal ein Verlag, von dem ich nicht einmal geglaubt hätte, er würde mein Manuskript auch nur zum Naseschnäuzen angucken. National Geographic. DAS National Geographic. The one and only.
Verlegt hier und heute meine Mutmachgeschichte, mein Reisebuch, meinen Abenteuerbericht. „Angst ist keine Ausrede! – 13.000 Kilometer solo durch die USA“.
Und alles, was ich weiß – über diese Reise, über dieses Buch und über dieses Leben – ist: Just fucking do it!
And read it.
Just saying.
Danke.
Angst ist keine Ausrede! - 13.000 km solo durch die USA
by National Geographic
Sie hatte Flugangst, Angst vor Schießereien in der City, vor Autopannen in der Wüste und Hunden hinterm Gartenzaun. Sarah Bauer schien die Neurosen gepachtet zu haben und dennoch wagte sie die Reise ihres Lebens: allein durch die USA,13.000 km mit Flugzeug, Bus und Auto. Von New York bis Chicago, über die Route 66 bis Los Angeles und San Francisco. Um sich ihren Ängsten zu stellen - und ihren Lebenstraum zu leben.
Gibt es auch bei Amazon, überall online und in deinem Lieblingsbuchladen.
Lonelyroadlover (Freitag, 08 April 2022 18:29)
Liebe Claudia,
ganz lieben Dank für deine Nachricht. :) Wie schön, dass du mich in dem Buch von Uta Nabert gefunden hast. Ich habe mich damals sehr gefreut, als Uta mich gefragt hatte. Gerade das "Danach", das Zurückkommen von einem Lebenstraum, ist nicht immer leicht. Dazu kannst du auch hier auf dem Blog noch einiges finden, da ich den auch durch diese schwierige Zeit fortgeführt habe und immer meine Gedanken dazu geteilt habe. Ich finde es wichtig, nicht immer nur Blumiges zu berichten, sondern das Leben zu zeigen, wie es wirklich ist! Bin gespannt, wie dir das Buch gefallen wird. :)
Ja, ein Buch kann eine haarige Angelegenheit sein. Manchmal will man sein ganzes Manuskript einfach nur im Kamin verfeuern, dann ist man am anderen Tag auf einmal wiederum euphorisch. Totale Achterbahn. Ich wünsche dir GANZ viel Erfolg bei deinem eigenen Projekt. Halte durch, lass es dir nicht ausreden und sei hartnäckig!
Liebe Grüße aus den USA,
Sarah
Claudia (Montag, 04 April 2022)
Liebe Sarah,
wie immer eine Freude, etwas von dir zu lesen. Vorher habe ich gerade deine Geschichte im Buch "Wieder da und doch nicht hier" gelesen - meine Lieblingsstory daraus, ehrlich gesagt. Genau wegen deiner Kotterschnauze und dem Schreibstil zwischen "zwischen Reiß-die-Hütte-ab und Scheiß-die-Wand-an". Glorios. Du solltest Kurse geben. Ich würde mich sofort anmelden!
Ansonsten herzlichen Glückwunsch zum Buch! Toll, dass du es zu Ende geschrieben, eine Agentin und einen Verlag gefunden hast. Ich werd's mir gleich bestellen :) Außerdem quäle ich mich gerade selbst mit einem Buchprojekt und da ist jede Ablenkung willkommen :) Auf jeden Fall ist jede:r, die:der ein Buch tatsächlich fertig geschrieben hat, für mich, ein:e Held:in. Chapeau.
Herzliche Grüße aus Hamburg
Claudia
Lonelyroadlover (Montag, 23 August 2021 17:04)
Hey Peter,
ganz vielen lieben Dank. :) Ich denke, da hast du Recht und ich finde, dass Ehrlichkeit und Direktheit etwas ist, das vielen fehlt. Deshalb bist du mir auch so sympathisch.
Ich bin gespannt, wie dir das Buch gefällt, rock on und lass dich von niemandem ärgern!
Liebe Grüße aus Usa,
Sarah
Don Pedro (Sonntag, 22 August 2021 13:58)
Hammer Sarah, � das ist nicht nur DER Glückstreffer, sondern noch viel mehr.☝️
Du hast es an die Spitze geschafft, vielleicht auch, weil Deine "rotzige" Art einfach so einzigartig ist.�
Ich gratuliere Dir dazu ganz herzlich.�
Das Buch habe ich gerade in meinem Buchladen bestellt.�