Interkulturelle Beziehung: Über Fettnäpfchen und Wundertüten.

14. Februar 2010

Interkulturelle Beziehung führen, Deutschland USA, binationales Paar
Zwei Kulturen - gemeinsam in eine Richting schauen

Ich bin in einer interkulturellen Beziehung. Das klingt immer schwer danach, als bräuchte man einen Master in Sozial- und Kulturanthropologie, um seinem Partner zu erklären, dass er mal wieder das Wohnzimmer staubsaugen könnte. Jetzt sind wir nicht schwedisch-sulawesisch oder kanadisch-kaukasisch, sondern nur deutsch-amerikanisch, aber das reicht schon, um für diverse sprachliche Knieschüsse und kulturelle Verwunderung zu sorgen. Statt uns deswegen anzupissen oder zu schämen, haben wir gelernt, ziemlich laut darüber zu lachen und es der Liste der Dinge hinzuzufügen, „über die wir nie wieder reden“. Die ist allerdings inzwischen sehr lang und wird immer nur einseitig eingehalten. Denn natürlich ist es unfassbar lustig, den Fauxpas des anderen zu jeglichen unfestlichen Anlässen auszugraben und ausgeschmückt mit Schauspieleinlagen in Szene zu setzen.

 

Zum Beispiel als ich im Auto sitze und meinem Papa erzähle, wie mein Freund letztens Deutschlands berühmtestes Schloss genannt hat.

„Sag das nicht! Das ist etwas, über das wir nie wieder reden wollten!“, ruft mein Freund vom Rücksitz, als er die Gefahr erkennt. Doch mein Papa ist schon viel zu neugierig.

„Jetzt sag! Wie denn?“

„Schloss Neu-Schwein-Stein!“, platze ich heraus. Mein Papa gröhlt, mein Freund spielt entrüstet. Am Ende lachen wir alle.

Hier kommt ein kleiner Einblick in den Alltag einer interkulturellen Beziehung.

Wie und wo wir uns überhaupt getroffen haben

Kennenlernen in einer internationalen Beziehung, Fernbeziehung, Kulturen
Yellowstone: Es gibt schlimmere Orte, sich kennenzulernen

Wo lernt man überhaupt jemanden kennen, der 8.000 Kilometer entfernt in einem anderen Land wohnt? Der gemeine digitale Allesfresser mag denken, dass sowas doch vermutlich übers Internet passiert. Ist es aber nicht. Ich habe meinen Freund 2017 auf meinem großen, mehrmonatigen Solotrip durch die USA getroffen. Danach war er erstmal anderthalb Jahre lang nur ein guter Freund, zu dem ich per E-Mail Kontakt gehalten habe. Viel E-Mail. Ungefähr so viel, dass man sie ausgedruckt zweihundert Mal ums Empire State Building wickeln könnte. Oder so. Als ich ihn dann ein weiteres Mal in den USA besucht habe, hat es gefunkt und wir haben uns für komplett bescheuert erklärt, weil zwischen uns nicht nur 8.000 Kilometer, sondern auch ein paar Jahrzehnte liegen. Und eben zwei Kulturen.

 

Wir haben es dann trotzdem einfach mal versucht, weil man im Leben ja irgendwie nichts zu verlieren hat, außer ganz am Ende das Leben selbst.

Inzwischen sind wir wie Bonnie und Clyde. Obwohl Ernie und Bert es besser trifft. Außer, dass wir beide Ernie sind. Wir verbringen einen Teil des Jahres in den USA und einen Teil in Deutschland. Dazwischen reisen wir viel. Während viele Paare vermutlich versuchen würden, möglichst schnell in einem gemeinsamen Land sesshaft zu werden, genießen wir den Luxus, zwei Home-Bases auf zwei Kontinenten zu haben. Hinzu kommt der Umstand, dass ich fasziniert von den unendlichen Weiten der USA bin (logisch!) und mein Freund fasziniert vom Mülltrennsystem in Germany (Hä?).

Interkulturelle Beziehung – eine Deutsche in den USA

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"Bevarages" überall auf der Route 66 - und ich verdurste

Ich erinnere mich noch an meinen ersten Trip in die USA. Als ich durstig meilenweit an Schildern mit Beverages vorbeigefahren bin, weil ich nicht wusste, dass das Getränke heißt. Als ich einen meiner Hosts höflich als elderly bezeichnet habe, weil ich dachte, das heißt älterer Herr und nicht klappriger Greis.

 

Und ich erinnere mich daran, wie mich mein Freund, der damals einfach nur mein Host ist, bei unserem ersten Zusammentreffen gefragt hat, ob ich ein Root Beer Float möchte. Ein Wurzelbier-Floß? Wir sind mitten in Yellowstone und ich sehe mich auf einer großen Bierflasche mit oktopusförmigen Beinen einen Fluss hinabschießen. Dann schnalle ich, dass es irgendein amerikanischer Drink ist, den jeder kennt. Nur ich nicht. Ich versuche, nicht ganz stumpf zu wirken, und tue so, als wüsste ich halbwegs, was abgeht.

 

In einem der Restaurants im Park lädt er mich zu einem Root Beer Float ein. Ich habe ewig keinen Alkohol mehr getrunken und bin vermutlich gleich hackedicht. Dann kommt ein großer Becher, der aussieht wie Cola, in die jemand einen Liter Shampoo gekippt hat. Ich probiere vorsichtig. Das Zeug stellt sich als zuckersüßes, alkoholfreies Sodawasser mit Vanilleeis heraus, das irgendwie in Schollen auf dem Gesöff floatet.

„Alter Herrmann, ist das süß!“, sage ich.

Mein Freund probiert. „Ist doch total normal.“

Wir finden heraus, dass Amerikaner und Deutsche Süße anders wahrnehmen. Weil Amerikaner in alles fünf Klötze Zucker donnern, während man in Deutschland eher versucht, irgendwie darauf zu verzichten.

Interkulturelle Beziehung – ein Amerikaner in Deutschland

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Deutsche Architektur - mein Freund ist mega beeindruckt

Wir fahren unter einer schäbigen Autobahnbrücke irgendwo im Sauerland durch. „Wow!“, ruft mein Freund plötzlich. Ich versuche, den Grund seiner Begeisterung zu erspähen, aber ich sehe nix außer einem Lastwagen, der mit rasenden 80 Stundenkilometern vor mir herschleicht. „Was war denn?“, frage ich.

„Na, diese Brücke!“, sagt mein Freund zutiefst beeindruckt. „Deutsche Ingenieurskunst! Totally overengineered. Das hält die nächsten fünfhundert Jahre.“

Ich gucke wie ein Iltis.

 

Etwas später debattieren wir über den besten Weg, gebackene Kartoffeln vom Vortag aufzuwärmen.

„Ich tu sie in die Mikrowelle“, sagt mein Freund ganz amerikanisch.

„Ih, dann werden die ganz schwammig. Ich tu sie immer in den Ofen!“, protestiere ich sehr deutsch. Wir fachsimpeln ungefähr eine Viertelstunde, bevor ich vor Hunger sterbe und wir uns kaputtlachen.

 

Auf einer unserer Waldwanderungen in Deutschland finden wir den totalen Kahlschlag vor. Borkenkäfer-Alarm. In Yellowstone ist etwas sehr Ähnliches passiert, doch dort ragen die Gerippe tausender Bäume einfach in den Himmel, bis sie irgendwann auf natürliche Weise umfallen. In Deutschland dröhnt die Kettensäge romantisch an unser Ohr, während riesige Lehmspuren den Wanderweg in Kriegsgebiet verwandelt haben. „That’s Germany“, sage ich. „We love to ride a Panzer and mow everything down!”

Was eine interkulturelle Beziehung funktionieren lässt

Interkulturelle Beziehung - was ist wichtig, wie funktioniert das?
Reden und Lachen ist das wichtigste für uns

Auch wenn wir über vieles hinweglachen können, ist eine Sache Spielentscheidend: dass wir miteinander kommunizieren können. Wir sind beide unheimliche Laberbacken und meist geht es nicht ums Wetter, sondern gleich richtig hoch her mit Shakespeare, Physik und dem Tod. Nur mit Händen und Füßen zu reden, hätte uns definitiv auf Dauer nicht gereicht. Zum Glück spreche ich fließend Englisch – vor allem, seit ich angefangen habe, mehrere Monate im Jahr in den USA zu verbringen – und mein Freund lernt aktuell etwas Deutsch. Dann fragt er mich eklatante Dinge wie „Warum heißt es Der Pilz und nicht Die Pilz?“, auf die ich keine Antwort habe. Unsere Hauptsprache miteinander ist aber Englisch.

 

Eine interkulturelle Beziehung ist aus meiner Sicht ohne Humor völlig verloren. Man muss über sich selbst lachen können und man muss andere Traditionen und Ansichten verkraften können. Und man darf sich wundern, was der Partner an Schrullen und Schönheiten aufdeckt, die man einfach nie zuvor wahrgenommen hat. Für uns ist unser unterschiedlicher Background eine Quelle unerschöpflicher Heiterkeit und macht uns beide reicher. Wir lernen voneinander und lernen, in einem anderen Kulturkreis zu leben und zu überleben. Auch, wenn die Unterschiede zwischen Deutschen und Amerikanern nicht so krass sind, als wären wir schwedisch-sulawesisch.

 

In meinem Artikel 8.000 Kilometer, zwei Kulturen, eine Liebe: Fernbeziehung USA – Deutschland findet ihr mehr darüber, wie wir nicht nur mit den beiden Kulturen, sondern auch mit der großen Distanz klarkommen.

Kommentare: 6
  • #6

    Lonelyroadlover (Samstag, 27 März 2021 11:51)

    Liebe Kasia,

    hier noch ein Nachtrag von mir zu deinem letzten Beitrag: Vielen lieben Dank für deine Worte, die mich auch nachdenklich gemacht haben. Es stimmt: Wenn man so offen ist, macht man sich auch angreifbar. Zum Glück habe ich bisher noch keinen Shitstorm oder irgendeine Art von Hatespeech erleben müssen. Das würde sich bei mir aber auch nicht lohnen. Ich finde es nämlich ausschließlich bemitleidenswert, wenn Menschen andere Menschen wegen ihres Lebensstils, Glaubens oder ihrer Liebe beschimpfen. Das sind ganz arme und verkümmerte Seelen für mich, denen ich wünsche, dass sie die Zeit, die sie mit ihren Giftworten verschwenden, lieber dafür nutzen, selbst glücklich zu werden.
    Ob meine Kunden meinen Blog mitlesen, weiß ich übrigens nur bedingt. Ich habe den Blog bisher nicht groß auf unserer Agenturseite verlinkt, trenne aber auch nicht extrem scharf. Wenn ein Kunde den Blog findet - gut. Wenn nicht - auch gut. Wenn mich jemand wegen meiner Beiträge hier nicht beauftragen will, dann hätte es ohnehin nicht gepasst. Ich sehe das alles recht entspannt. :) Und nein - ich optimiere nichts. Ich mache das alles hier aus reiner Leidenschaft und ich hab nicht mal SEO. Ist mir aber auch ehrlich gesagt Wurscht.

    Liebe Grüße und danke, dass du hier bist!
    Sarah

  • #5

    Lonelyroadlover (Samstag, 27 März 2021 11:39)

    Hallo liebe Nathalie,

    ganz herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar. :) Ich freue mich immer wie bolle, wenn ich mal mitbekomme, wer hier eigentlich so mitliest und was das in den Menschen so auslöst. Außerdem bestärkt es mich, wenn ich höre, dass auch andere im Job solche Erfahrungen gesammelt haben. Ich bin froh, dass du aussteigen konntest und ich hoffe sehr, dass es dir jetzt gesundheitlich besser geht! Das Leben ist zu kurz, um sich krankmachen zu lassen von etwas, das es (einem) nicht wert ist. Geh deinen Weg und sei mutig und fröhlich!

    Liebe Grüße
    Sarah

  • #4

    Nathalie (Samstag, 27 März 2021 09:37)

    Hi liebe Sarah,

    Ich wollte Dir einfach nur mal kurz mitteilen, dass Du eine wahnsinnige Inspiration für mich bist! Ich selbst habe auch eine Zeit lang im öffentlichen Dienst gearbeitet und habe mich zum Ende des Monats entlassen lassen, weil es mich mega krank gemacht hat - leider. Und somit kann ich nur bestätigen: es ist es wirklich nicht wert, sich in eine Welt zu drücken, die einem nichts zurück gibt. Und wofür? Um ansehen zu erlangen? Bestimmt nicht. Das lohnt nicht.
    Danke für deine tollen Blog-Einträge. Ich lese sie unfassbar gern!

    Pass gut auf Dich und deinen Freund auf und ich freue mich auf den nächsten Teil :)

    Liebe Grüße
    Nathalie

  • #3

    Kasia Oberdorf (Dienstag, 16 März 2021 23:58)

    Liebe Sarah,

    ich bin auch begeistert von dir und deiner Geschichte. Du bist so echt und so stark. Und so "am Boden" ;-) Du gibst in deinem Blog viel von dir preis. Gut, damit macht man sich auch verletzlich, aber ich denke, für dich ist das vielmehr befreiend, wie ein Ventil... Und obwohl der Blog deine Visitenkarte für potentielle Kunden ist, hat man nie das Gefühl, du und das, was du deinen Lesern gibst, seien irgendwie verstellt oder über-optimiert. Du schreibst ausschließlich für deine Leser und was man liest, das ist Sarah, wie sie ist ;-)

    Liebe Grüße
    Kasia

  • #2

    Lonelyroadlover (Montag, 15 März 2021 18:30)

    Liebe Kasia,
    ich lese deine Kommentare immer so gern, weil sie so schön positiv und begeistert klingen. :) Humor ist sooo wichtig in einer Beziehung - finde ich. Wenn man nicht gemeinsam über die gleichen Dinge lachen kann, kann man auch nicht zusammen weinen, träumen oder die Zukunft gestalten. Wir sind sehr, sehr froh und dankbar, dass wir uns gefunden haben. Obwohl es so unwahrscheinlich war.
    Ganz liebe Grüße
    Sarah

  • #1

    Kasia Oberdorf (Montag, 15 März 2021 16:15)

    Es ist ein Geschenk, jemanden zu finden, der so tickt wie du. Gleich verrückt, der gleiche Humor. Schön, dass ihr euch gefunden habt, passt gut auf euch auf :-)

    Liebe Grüße
    Kasia

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