Gletscher-Augen und das Haus am See – Roadtrip Schweiz I.

22. Mai 2021

Traversinersteg, Viamalaschlucht, Hängebrücken in der Schweiz
Abenteuer in der Schweiz - Traversinersteg

Die Sonne knallt und wir schibbeln über die A5 Richtung Basel. Wochenlang haben wir das Auswärtige Amt über seine Reise- und Coronahinweise für die Schweiz ausgespäht. Am Tag der Abreise ist immer noch grünes Licht: Wer mit dem Privatwagen aus Nordrhein-Westfalen anreist, braucht weder Test noch Quarantäne [Stand März 2021]. Feuer frei!

 

Allerdings brauchen wir für einen vernünftigen Roadtrip durch die Schweiz, völlig unabhängig von welchem Seuchenherd wir gerade kommen, eine Mautplakette. Wir marschieren in die letzte Tankstelle vor der Grenze, wo man die Vignette vorab einsacken kann. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das funktioniert, aber ich bin gut darin, mich auf Reisen mit breitem Grinsen zu blamieren.

„Hi, wir brauchen den Aufkleber“, sage ich. „Ähm… die Vignette meine ich.“ Kurz bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht aus Versehen Viennetta gesagt habe. Also wie das Eis von Lagnese jetzt. Ist aber egal, denn der Typ an der Kasse spricht irgendeinen süddeutschen Schwitzerdialekt, ich verstehe nur Bahnhof und mein Freund spricht nur Englisch. Keiner schnallt irgendwas aber am Ende ist der Sticker irgendwie auf der Windschutzscheibe. Es kann losgehen!

 

Zwei Wochen Roadtrip durch die Schweiz. Kommt mit zum ersten Teil meiner Reise von einem surrealen Brunnen in Bern über mittelalterliche Street Art in Luzern bis zu einer Schlucht mit einem Auge.

Bern: Zeitreise mit Schokolade

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Die Skyline von Bern am Schwellenmätteli

Das allererste, was mir in Bern auffällt: Die Schweiz ist alt. Älter als mein Freund. Boah. 400 Jahre Frieden zeigen, wie schön eine Stadt sein kann, wenn sie nicht sinnlos zerbombt und anschließend ganz nett wieder rekonstruiert wurde. Die nussbraunen Holzrahmen an den Schaufenstern der Schokoladenmanufakturen schimmern edel im Morgenlicht. Die metallisch-geschwungenen Griffe an den Haustüren, die rot-golden bemalten Brunnen, die kleinen Cafés in den Souterrains und die dicken, steinernen Fassaden könnten Geschichten aus vielen Jahrhunderten erzählen. Über die Menschen in der Stadt, die rasselnde Tram, das gute Essen und die grüne Aare, die im Tal durch die Stadt strömt. An der Astronomischen Uhr, der Zygotte, fuchtelt zur vollen Stunde eine Hühnerfigur schräg mit den Flügeln und kräht etwas blechern wie ein kaputter Weihnachtsmann.

 

Während wir durch die Altstadtgassen wandern, fragt mein Freund mich ständig nach der Übersetzung bekloppter Schilder wie „Käsli“ oder „Stüberli“.

„In der Schweiz ist alles -li“, sage ich. „Klein.“

Und das stimmt. Man kann Bern problemlos an einem Tag zu Fuß sehen. Wenn man es schafft, nicht in jeden Schokoladenladen reinzurennen. Aber davon halten uns dann die Schweizer Preise ab. Kurz wundere ich mich darüber, dass im Fenster die Summe für die Ladenmiete aufgeführt ist, aber dann ist es doch nur der Preis für 100 Gramm Pralinen.

Als besonderen Tipp können wir euch den etwas surrealen Meret-Oppenheim-Brunnen empfehlen, der mit Kalksinter und Moos überwachsen ist. Ein Bild davon findet ihr unten in der Galerie. 

Das Haus am See, das Auto am Hang

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Seeblick mit Insel

Von Bern aus tuckern wir nach Luzern, wo wir etwas außerhalb an einem See eine tolle Ferienwohnung mit Balkon gebucht haben. Der Blick aus der urigen Holzbutze über das Wasser ist gigantisch. Das Wetter ist scheiße, aber es reicht gerade noch so, um ein paar Berge zu erspähen. Mitten in der Wasserfläche liegt eine Insel mit einer Ruine.

 

Während mein Freund das Gepäck aus dem Auto lädt, das an einem prekären Hang mit 190 Prozent Steigung steht, reiße ich die Balkontür auf und rufe laut: „Und am Ende der Straße steht ein Haus am See. Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg!“ Die Enten unserer Vermieterin unten im Garten schnattern aufgeregt. Wahrscheinlich kommen hier sonst nur langweilig Senioren hin.

 

Als mein Freund irgendwann wieder auftaucht, wundere ich mich: „Wo warst du die ganze Zeit?“

Er gibt unschuldig vor, sich jetzt erstmal einen Kaffee zu machen.

Als wir kurz darauf eine Runde durchs Dorf latschen, sehe ich, dass er heimlich mein typisch schrottig geparktes Auto umgesetzt hat. Es steht immer noch am 190-Prozent-Abhang. Aber nicht mehr so schief und halb in der Einfahrt wie zuvor.

Er grinst.

Ich blicke mein Auto an. Dann ihn. Ernst. „Dafür kannst du nicht richtig schalten!“, sage ich. Dann lachen wir.

Luzern: Eine Stadt als Leinwand

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Die Kapellbrücke in Luzern

„An welchem See fahren wir gerade noch mal längs?“ fragt mein Freund, während wir unter azurblauem Himmel Richtung Downtown Luzern zwiebeln.

Ich seufze, als hätte ich schlimme Kopfschmerzen. „Der Vierwaldstättersee“, sage ich dann. Jetzt sieht mein Freund aus, als hätte er schlimme Kopfschmerzen. „Aber klar, der Vierwawawakrtschbrrr See! How could I forget!“

Keine Ahnung, warum alle deutschen Wörter immer 47,5 Buchstaben haben, aber das hilft nicht besonders, wenn du deinem amerikanischen Partner erklären willst, wo es hingeht.

 

Der Vierwaldstättersee liegt zu Füßen von massiven Bergen, in denen dünne Wolkenschichten hängen. Habt ihr eigentlich schon mal die Füße von Bergen gesehen? Ich mein ja nur.

Dann sind wir in Luzern, wo wir das Auto für nur drei Goldbarren die Stunde in einem Parkhaus bunkern.

 

Das einzige, was ich von Fotos kannte, war die mittelalterliche, hölzerne Kapellbrücke mit dem runden Wasserturm. Die Brücke ist die älteste überdachte Holzbrücke Europas. Ich bin so aufgeregt, dass ich erstmal die dicken, teils mit Löchern übersäten Holzbalken berühren muss. Das Tolle am Reisen ist, dass man seine Begeisterung sogar anfassen kann. Von dort bummeln wir durch die Innenstadt, in der fast jedes Gebäude mit bunten Figuren bemalt ist. Mit Teufeln, Rosen, Flammen, Masken, Ornamenten. In Rot, Grün, Blau, Gold. Street Art aus dem Mittelalter. Nicht kitschig-religiös wie in Bayern, sondern einfach kunstvoll und wunderschön wie ein lebendiges Outdoor-Museum.

Danach lamentieren wir solange über Eis, bis es regnet. Dann kaufen wir uns eins und setzen uns draußen an einen der leeren Tische. Kennt ihr die Szene mit Rudi Carrell und den Spagetti im Gewitter? Irgendwas stimmt mit uns nicht.

Die Viamalaschlucht – ja, die ganze

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Wandern in der Viamalaschlucht

Von Luzern geht es weiter nach Graubünden. Dort habe ich uns ein günstiges Airbnb herausgesucht, zu dem ein verdächtig gewunden aussehender Straßenverlauf führt. Als mein knubbeliges, rotes Auto – oder „the little red sports car“, wie mein Freund generös sagt – die zehntausend Serpentinen raufschnauft, werfe ich einen Blick auf die Rückbank, ob wir zufällig ein Sauerstoffzelt für den Everest dabei haben.

 

Der Grund für diesen Zwischenstopp auf unserem Roadtrip ist die ganz in der Nähe von Chur gelegene Viamalaschlucht. Und die wandern wir am nächsten Tag. Ganz. 15 Kilometer. 150 Meter Höhenunterschied. Acht Stunden. Drei Tode.

 

Wir parken das Auto in Thusis am Bahnhof und nehmen den Bus zum anderen Ende der Schlucht, um von dort zurückzuwandern. Der Busfahrer schwitzerdütscht herum und denkt, ich hätte Gelbfieber, als ich ihm zeige, wo wir hinwollen und was wir vorhaben. „Ja, aber das ist die ganze Schlucht!“, sagt er und guckt, als hätte er sich an Ricola verschluckt.

„Genau“, bestätige ich und mein Freund nickt, obwohl das einzige, was er versteht, vermutlich Vierwawawakrtschbrrr ist.

Gletschertöpfe und Hängebrücken

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Der Gletschertopf in der Viamalaschlucht - wie ein Auge!

Anschließend wandern wir von Zillis aus über wunderschöne, grüne Almwiesen und vorbei an halb verfallenen Holzhäuschen bis hinunter in die Viamalaschlucht mit dem türkisen Wasser. Wasserfälle stürzen von senkrechten Felsen rechts und links. An einer Stelle erreichen wir über Steinstufen einen ganz besonderen Punkt: Einen Gletschertopf, der aussieht wie ein sich drehendes, blaues Auge. Gletschertöpfe sind schachtartige Vertiefungen, die durch wirbelndes Schmelzwasser, das bis zu 200 Stundenkilometer schnell sei kann, entstehen.

 

„Was ist das eigentlich für ein Fluss?“, fragt mein Freund plötzlich, während er auf den schmalen Bach schaut. Ich hole meine Karte heraus. Es ist der Rhein. Der Rhein! Unfassbar, dass das mal zu dem reißenden Strom am Kölner Dom wird!

 

Von dort erklimmen wir den oberen Rand des Canyons. Über Wurzeln und Matschpisten wandern wir bis zum Traversinersteg. Die Hängebrücke ist 62 Meter lang und hängt etwas windschief im Berg. Das liegt daran, dass sie nicht gerade von einem Ende zum anderen führt, sondern bergauf verläuft. 176 Stufen und 22 Höhenmeter. Ich klettere fix auf das Geländer und reiße meine Hände hoch. Wir haben meinem Opa einen digitalen Bilderrahmen mit W-LAN gekauft, auf den ich ihm von überall auf der Welt Fotos beamen kann. Und falls das Fernsehprogramm heute Abend mal wieder scheiße ist, bekommt er ein wenigstens paar spannende Bilder zu sehen.

 

Als wir abends am Auto ankommen, fühle ich mich älter als Bern und ein bisschen zerbombt. Erst eine Woche ist vergangen, seit wir den Vinnetta-Aufkleber an unsere Windschutzscheibe gepappt haben – und ich spüre jeden Knochen. Aber auch das ganze, schöne Leben hier in der Schweiz.

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