Nationalparks USA: Wunder und Wüste.

3. Juni 2017

Highway in der Wüste, USA
Einsam wird es in der Wüste

Ein zitronengelber Schmetterling, etwa so groß wie meine Handfläche, flattert über dem grünen Fluss, der von Bäumen und riesigen, roten Sandsteinschluchten gesäumt wird. Das denke ich mir aus? Nein, so eine Vollkommenheit kann man sich nicht ausdenken. Dem entgegen steht eine leere Unendlichkeit aus braunen Felsen und Hitze, die einem unmerklich aber kontinuierlich die Lebensgeister aussaugt. Über meinen Kampf mit der Wüste, die Entdeckung der Seele der Natur und Tage an der Grenze des Erträglichen und Fassbaren.

 

Holbrook in Arizona verschwindet im Rückspiegel. Die letzte wirkliche Stadt. Es geht Richtung Canyon de Chelly. Vor mir liegen knapp zwölf Tage in den Nationalparks von Utah und Arizona. Ich denke an wahnsinnig schöne Felsformationen und beeindruckende Canyons. Doch das ist wie immer im Leben nur die halbe Wahrheit. Ich fahre und fahre. Und fahre. Und fahre. Alles hier draußen ist unendlich.

Wildnis, Einsamkeit, Illusion

Der Fels Spider Rock im Canyon de Chelly
Der unglaubliche Spider Rock im Canyon de Chelly

Ab und zu kommt ein anderes Auto vorbei wie eine unbedeutende Ameise. Ein fallender Felsbrocken könnte sie auslöschen. Schwimmende Umrisse in flirrender Hitze. Auf einmal am Rand des Highways ein Streifenhörnchen, das sich aufsetzt. Ich reiße meine Augen auf. Ist das noch real? Ist die Straße noch real? Ich reiße mich zusammen. Das Hörnchen hüpft davon.

 

Am Canyon de Chelly will ich eigentlich im Auto schlafen, doch ich bin völlig erledigt vom ewigen Asphalt, der sich in den letzten Stunden in meinen Gemütszustand gefressen hat. Das hier ist eine ganz andere Hausnummer als die Route 66, wo alle paar Kilometer mal eine alte Tankstelle oder ein Café auftaucht. Das hier draußen ist wild. Einsam. Wunderschön aber wüst. Und die Tour hat noch gar nicht richtig angefangen. Ich verkrieche mich spontan in eine teure und gemütliche Lodge und versuche, mich zu sortieren. Was passiert eigentlich, wenn alle, einschließlich man selbst, denken, man wäre im Paradies – aber dann kommt die Schlange und beißt den Illusionen den Kopf ab?

Natural Bridges: Die Strasse im Fels

Dirt Road zwischen dem Monument Valley und dem Natural Bridges Monument
Abenteuerstraße mit Gänsehautfeeling

Nachmittags fahre ich am Rim des Canyons entlang. Eine riesige, dunkelrote Schlucht mit grünem Tal. Dort unten wohnen immer noch Natives. Ja, heute, im Jahr 2017. Ich sehe sogar ein galoppierendes Pferd zwischen den winzigen Baumkronen, die aussehen wie Murmeln. Wow! Am Boden huscht der Schatten eines Greifvogels entlang. Wind. Ich höre nur noch Wind – und den Flügelschlag. Wenn man hier schreien würde, dann würde es 100 Jahre dauern, bis der Schrei zurückkäme. Ungehört. Ich breite meine Arme aus. Zwischen Himmel und Erde. Kein Foto auf Google, kein Reiseführer, nicht mal meine eigenen Fotos können zeigen, was sich hier zu meinen Füßen auftut.

Am nächsten Tag fahre ich durch das Monument Valley hoch zu den Natural Bridges, die eine kleine Enttäuschung sind, weil sie nicht besonders spektakulär wirken. Dafür gerate ich aus Versehen auf einen spektakulären Weg. Auf der Karte ist der Pfad mit ein paar banalen Punkten gekennzeichnet. Doch plötzlich stehe ich vor einem senkrechten Plateau.


Lake Tahoe, USA

Dementoren in der Wüste

Felsformation im Lower Antelope Canyon, USA
Lichtfang: Im Lower Antelope Canyon

Der Asphalt versandet in einer Dirt Road aus Schotter. Wo sind denn wohl das Tal und der Tunnel, wo man nun durchfahren muss? Ich wage mich mit 10 km/h weiter vor (mehr sind auch nicht erlaubt). Auf einmal steigt die Straße stark an. Sehr stark. Leitplanken inexistent. Ich realisiere, dass es nicht durch das Plateau hindurchgeht, sondern hinauf. Während ich 50 Mal „Ach du Scheiße!“ brülle, lenke ich den Wagen mit immer größerem Grinsen diesen absolut wahnsinnigen Weg bis zur obersten Kante des Massivs.

 

Abends sitze ich auf der hölzernen Terrasse meines Motels und blicke in den rosafarbenen Abendhimmel. Ich befinde mich in Mexican Hat – ein Wüstendorf im Nirgendwo, hunderte Kilometer von der Zivilisation entfernt. Mit dem Licht schwindet meine Kraft. Schaffe ich das? Mir ist, als würde mich die Wüste auffressen. Trotz aller Naturwunder. Sie ist wie ein Dementor. Ich spüre, dass das der Punkt ist, an dem ich mich entscheiden muss. Aber für mich gab es im Leben selten eine Alternative zu „weitermachen“ und genau das habe ich nie bereut.

Colorado River, Lake Powell und Bryce Canyon

Horseshoe Bend, USA
Unvorstellbare Höhe: Am Rande des Horseshoe Bend
Ich stelle mich im Zimmer vor den Spiegel. „Ich packe das. Ich kann die Wüste nicht ändern, aber meine Einstellung zur Wüste. Die Wüste ist schön. Ich werde die Wüste bezwingen“, sage ich leise. Dann laut.
Am nächsten Tag fahre ich zum Lake Powell, gehe in dieser knallbunten Marslandschaft schwimmen, durchwandere den komplett unwirklichen und wundervollen Lower Antelope Canyon und wandere bei 43 Grad zum Horseshoe Bend, wo der Colorado River eine 270-Grad-Kurve macht. Wo man sich fühlt, als würde man von der anderen Seite auf das Ende der Welt blicken.
Dann geht es zum Bryce Canyon. Ich fühle mich besser. Ich habe nachts keine Panikattacken mehr, in denen ich denke, ein riesiger Schlund von Nichts würde mich verschlucken oder meine Haut würde in der Sonne verbrennen, weil mein Auto einen Motorschaden hat und keiner kommt. Seit Tagen habe ich schon keinen Handyempfang mehr. Am Bryce Canyon wandere ich fast sechs Kilometer bis zum Boden des Grabens. Die orangefarbenen Hoodoos stehen zu Tausenden beieinander, als hätte jemand all seine Buntstifte aufgereiht. Einer Legende nach sind sie versteinerte Menschen.

Zion National Park: Tal der Seelen

Zion National Park, Fluss, Canyon und blauer Himmel
Grünes Paradies - Zion als Ort des Friedens

Doch der spirituellste Moment hier draußen ist mein Tag im Zion Nationalpark. Der gelbe Schmetterling und der grüne Fluss. Nach Ewigkeiten im Felsenmeer ergießt sich diese Oase vor meinen Augen. Ich stehe still mit den Füßen in den eiskalten Stromschnellen. Ich spüre jeden Gashalm, jeden Kieselstein. Alles lebt. Alles hat eine Seele. Ich bin kein religiöser Mensch und glaube nicht an Tarotkarten. Aber da ist etwas. Es ist fast so stark, dass ich denke, ich könnte es berühren. Falls es einen Ort gibt, an den all unsere Seelen gehen, wenn wir sterben, dann muss es Zion sein. Ich begreife zum ersten Mal wirklich, was die Natives hier unten seit Jahrhunderten gespürt haben. Eine Offenbarung. Auf dem Rückweg im Auto über die gewundene Bergstraße muss ich heulen. Die Wüste ist besiegt. Ich habe gewonnen. Diese Landschaft hat mir eine Menge genommen. Vielleicht nur, um mir zu zeigen, was wirklich in mir steckt und dass immer alles nur eine halbe Wahrheit ist.

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