Ein kleines Konfettiteil blinkt im Abendlicht und schwingt im Wind. Dann reißt es von der grauen Wand ab und treibt fröhlich die enge Gasse aus Kopfsteinpflaster hinunter. Zwischen Glaslaternen und Giebeln, die sich einander zuneigen, zeigen sich Ausschnitte einer weißen Kathedrale mit Zwiebeltürmen. Das Kreativ-Viertel Montmartre in Paris ist ein Labyrinth aus Galerien, Straßenkunst und kleinen Restaurants, in dem es Pflicht ist, sich kopflos zu verlieren. Schmeißt die Stadtkarte weg, schaltet die Daten ab und folgt dem Konfetti!
Als ich aus der U-Bahn aussteige, fährt mir kalte Winterluft unter die Mütze. Silvester in Paris. Total romantisch. Wenn man es im deutschen Spätherbst bei 18 Grad bucht und das Wort „Winter“ dabei kurzum aus dem Gehirn schippt. Der Ausgang der Station ist mit einem hohen Gitter umzäunt, Menschen lungern herum und ich versuche, nicht so auszusehen, als hätte ich ein teures Objektiv in meinem Rucksack. Meine Eulen-Strickmütze (eine Kollegin bezeichnete sie mal als „ein bisschen unseriös“) hilft mir wohl dabei. Ich bin auf dem Boulevard de Clichy gelandet, an dem Dönerläden und Sex-Shops eine einladende Fassadenfront bieten. Leider gibt es keine Metro, die direkt in Montmartre hält – also heißt es, hinzulaufen. Flott hinzulaufen.
Im Grunde gibt es nicht den einen, richtigen Zugang zu Montmartre. Ihr könnt das Viertel von jeder Seite aus begehen – etwa von der Basilika Sacré-Coeur, dem berühmten Moulin Rouge oder auch vom Friedhof von Montmartre aus. Das Geheimnis des Künstlerviertels ist gerade, keinen Plan zu haben und sich einfach von der Magie aus Farben, Straßenkunst und winzigen Gassen hineinziehen zu lassen. Montmartre befindet sich übrigens auf einem 130 Meter hohen Berg und ist damit die größte Anhöhe in Paris.
Das lässt zu der Vermutung kommen, dass man irgendwo auch schön runtergucken kann. Könnt ihr auch! Und zwar oben auf den Treppen an der Basilika Sacré-Coeur. Wenn ihr es schafft, euch kein nerviges Armband von noch nervigeren Straßenverkäufern andrehen zu lassen, habt ihr einen fantastischen Blick über die Stadt und das nostalgische Karussell, das ihr aus dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ wiedererkennt.
Die Kathedrale ist zwischen 1875 und 1914 erbaut worden und überragt mit ihren weißen Zwiebeltürmchen
gewaltig und majestätisch den gesamten Hügel. Die Steine, die hier verbaut wurden, sind frostresistent. In Anbetracht der feinen Temperaturen um den Jahreswechsel eine wirklich
sinnvolle Erfindung! Besonders früh morgens und am Abend ist es nicht ganz so voll. Der Eintritt ist frei.
Von dort führen verschiedene Gassen ins Montmartre-Viertel hinein. Auf einem Blechschild hockt eine schwarze Katze, irgendwo duftet es nach Crêpes. Der Boden ist uneben und von den cremefarbenen Fensterläden blättert der Lack. Überall tun sich kleine Galerien und Cafés auf. Das Viertel ist gut besucht aber verliert dadurch nicht seinen gemütlichen Charme, der einen neugierig um jede weitere Ecke spähen lässt.
An einer Hauswand klebt ein pinker Fernseher, auf einem Plakat steht in blauer Handschrift „I still hate everybody except you“. Und dann sind da noch die zwischen Konfettistaub tanzenden Figuren von SOBR.
Die habe ich ehrlich gesagt schon in verschiedenen Großstädten auf der Welt gesehen. Der französische Künstler arbeitet mit Collagen und beklebt Fassaden mit Motiven, die aus der Techno-Szene abgeleitet sind. Manche Figuren sind reale Personen, die er während Rave-Partys fotografiert hat. Sie bestehen meist nur aus wenigen Farben – dafür ist das angeklebte Konfetti um sie herum besonders bunt. Viele von seinen Werken findet ihr übrigens nicht nur in Montmartre, sondern auch in Berlin!
Inmitten der vielen, kleinen Gassen, tut sich dann auf einmal ein Platz auf – der Place du Tertre. Bunte Schirme ragen in die Luft und Leinwände und Staffeleien reihen sich dicht an dicht. Von expressionistischer Landschaft bis hin zum Portrait könnt ihr hier zahlreichen Kreativen live über die Schulter schauen. Im 19. und 20. Jahrhundert war Montmartre die Heimat vieler junger Künstler. Darunter auch Pablo Picasso und Vincent van Gogh. Sie kamen allerdings überwiegend nicht in das Viertel, weil es so schön war, sondern weil es sich hier halbwegs bezahlbar leben ließ. Heute könnte van Gogh wahrscheinlich die gesamte Basilika Sacré-Coeur vergolden lassen.
Nicht verpassen solltet ihr während eurer Wanderung in Montmartre das berühmte Varieté Moulin Rouge. Natürlich wird mehr Wind um die Mühle gemacht, als nötig aber besonders bei Nacht strahlt das leuchtende Rot der Neonschilder bis weit hinein in die geschäftige Kreuzung. Natürlich könnt ihr euch auch eine der Shows ansehen, wenn ihr aus Versehen noch 100 Euro in eurer Tasche findet. Aber damit solltet ihr dann nicht zu auffällig herumfuchteln, denn das Moulin Rouge befindet sich tatsächlich wieder auf dem zauberhaften Boulevard de Clichy.
Für die Erkundung von Montmartre solltet ihr mit Kaffeepause mindestens drei Stunden bis zu einem halben Tag einplanen. Der Boulevard de Clichy ist zwar etwas dubios, doch echte Angst müsst ihr dort nicht haben. Möchtet ihr das Moulin Rouge besuchen, rate ich dringend, Karten im Voraus zu bestellen, denn die Shows sind extrem beliebt. Aussteigen könnt ihr ganz gut an den Metrostationen Anvers, Blanche, Abbesses und Lamarck-Caulaincourt.
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