Von Regenbogenbergen zu Eisschluchten: Fernwanderung Laugavegur Island I.

15. September 2024

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Auftakt auf dem Laugavegur mit Rhyolith Mountains, Schnee und Dampf

Die Zeltplane flattert leise hinter dem Steinkreis. Vor uns ein weites, schroffes Tal aus braunem Vulkanstein mit weißen Schneefeldern. Die Luft ist glasklar, der Himmel wie ein seidig blaues Tischtuch, auf dem ein Glas Aprikosensaft umgekippt ist. Es ist nach 22 Uhr und die Dämmerung schleicht unsicher um die Bergspitzen, obwohl sie weiß, es ist Island im Juli und die Nacht hat keine echte Chance.

 

Wir sind unterwegs auf dem Laugavegur – einem der schönsten, kurzen Fernwanderwege der Welt. Vier Tage und 55 Kilometer durch Islands Highlands. Vorbei an Regenbogenbergen und dampfenden Quellen, hoch hinaus auf Berggrate, durch hüfthohe, eiskalte Flüsse und zu grünen Vulkanen, die so surreal aussehen, als hätte sie ein verwitterter Landschaftsmaler aus den 17. Jahrhundert erfunden.

 

Es gibt keine Hotels, Almen oder Restaurants – nur primitive Campspots zwischen Lavasteinen und Berghängen. Alles, was wir brauchen, haben wir auf unserem Rücken: Zelt, Schlafsack, warme Kleidung (hier wird es auch im Sommer nicht wärmer als 12°C), Wasser und 12 Mahlzeiten pro Person – dehydriert in kleinen, leichten Beuteln.

Vier Tage durch harsches Land, das zu schön, zu wild und zu unglaublich ist, um es in Bilder oder Worte zu sperren. Ich versuche es trotzdem. Ein Zauber auf jedem Meter – dies ist kein Trail-Guide, dies ist ein Gedicht. Teil eins.

Teil zwei findet ihr hier: Durch Flüsse, zum Mars, zum Ziel: Fernwanderung Laugavegur Island II.

Die bunten Rhyolith Mountains von Landmannalaugar

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Bunte Berge - bedrohliche Wolken

Vier Stunden dauert die Anreise mit dem Shuttlebus von Islands Hauptstadt Reykjavik aus bis zum Ausgangspunkt des Trails in Landmannalaugar. Land-manna-laugar, freu dich auf die Namen der anderen Orte. It’s Island, hier ist alles Hranðragfladafjordurgrrrrrr!

 

Landmannalaugar ist keine Stadt, sondern eine Art Basiscamp mit einfachen Toiletten, Duschen und ein paar Hütten. Außerdem gibt’s einen Snack-Shop, in dem man mit Glück nochmal eine Gaskartusche zum Preis eines Kleinwagens nachkaufen kann, wenn man zu dösig war, sein Survival-Gear mitzubringen.

 

Zwölf Kilometer geht es von hier aus auf die erste Etappe des Laugavegur, nach Hrafntinnusker (I told you!).

„Es geht los!“, rufe ich nervös-euphorisch und rücke meinen Zehn-Kilo-Rucksack zurecht. Prompt fängt es an, zu regnen. Nachdem ich mich in meine Regenklamotten geschmissen habe und wir 500 Meter gelaufen sind, knallt die Sonne. Über den bunten Rhyolith Mountains schweben violett-graue Wolken. Ich schwitze wie ein Iltis. Doch was dann folgt, ist unglaublich:

 

Steile, sandige Berge mit roten, weißen, gelben, türkisen und orangenen Schichten fallen steil neben dem Trail ab. Immer wieder quillt Dampf aus Felsspalten – Fumarolen und Hotsprings. Rumorendes Land, immer bereit, feuerspuckend auszubrechen und sich voller Energie wütend und wild neu zu erfinden. Über gelbe Berge mit grünen Seen schieben wir uns immer weiter hinauf, wo es kälter wird und der Wind beißender. An einem besonders steilen Stück fühlt es sich so an, als würde der Rucksack unheimlich gern wieder zurück ins Tal. Mit mir oder ohne mich, egal. Meine Füße fühlen sich durch das Gewicht auf meinen Schultern an, als hätte ich mir Blei in die Schuhe gegossen. Mein Freund stapft natürlich schon wieder oben auf dem Bergkamm rum. „Where are you?“

„Falling down the mountain!“

Schnee, Weite und Stille in Hrafntinnusker

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Die ersten Schneefelder kommen in Sicht... stapf, stapf.

Oben flacht das Terrain endlich ab. Allerdings sehe ich auch, was Höhe und Kälte mit sich gebracht haben: Schneefelder. Die anfänglichen Grüppchen von anderen Wanderern haben sich verlaufen. Wir sind fast allein. Der Wind fegt und ich bereue meinen Protest gegen die Mitnahme von Handschuhen.

 „Brauchst du Handschuhe?“, fragt mein Freund, obwohl wir beide wissen, dass wir keine dabeihaben.

„Nein, gar nicht“, grummel ich und ziehe den Ärmel meiner Daunenjacke über meinen Handrücken. Moppelkotze.

Egal jetzt.

 

Es herrscht eine eisige und stille Weite. Auf einmal ist die bunte Welt monochrom. Harter Schnee knirscht unter unseren Schuhen, im Wind singen Eiskristalle eine Serenade auf den vergangenen und nie vergehenden Winter. 60 Grad Nord.

Bei Schnee muss man wachsam sein vor Schneebrücken, unter denen Hohlräume oder manchmal auch reißende Flüsse sein können. Zum Glück bewegen sich genug Leute auf dem Laugavegur, um zu sehen, wo die Vorgänger hingetreten – und nicht reingefallen – sind. Genug Leute, aber nicht zu viele.

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Obsidian-Brocken entlang des Laugavegurs

Nachdem wir mehrere Täler und den nassen, warmen Dampf einer heißen Quelle durchschritten haben, erreichen wir eine Gegend mit nachtschwarzem Obsidian. Riesige Brocken liegen glänzend in der Landschaft wie zerrissene Überreste von einem Autounfall.

Meine Beine werden schwer. Wo ist das olle Camp? Kälte, Wind, Anstiege und der dicke Rucksack haben mich ausgelaugt. Vielleicht auch der Überfluss an überbordender Schönheit auf jedem Meter, den wir heute gegangen sind. An einer Stelle sehen wir das Mahnmal für Ido Keinan – einen 25-jährigen Wanderer, der hier 2004 in einem plötzlichen Schneesturm kurz vor der rettenden Hütte ums Leben kam. Die Natur fragt nicht, die Natur nimmt.

 

Schließlich erreichen wir den Zeltplatz Hrafntinnusker an einem offenen Hang. Steinkreise dienen als Windschutz. Die erste Nacht draußen. Wir gießen unsere selbst-dehydrierten Makkaroni mit Tomatensauce, Pilzen und Oliven auf – yum! – und schauen in den blauen Himmel, der aussieht, als wäre darauf ein Glas Aprikosensaft umgekippt.

Nebelwände, grüne Vulkankegel und die erste Flussüberquerung

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Keine Aussicht - Nebel auf dem Laugavegur

Der nächste Morgen auf dem Laugavegur beginnt mit dem Versprechen auf tolle Aussichten von Klippen entlang unserer 16 Kilometer langen Etappe von Hrafntinnusker nach Hvanngil. Das Versprechen endet kurzzeitig vor der abgebrochenen Kante des Trails an einer vertikalen, matschigen Wand im Nebel. Mit Händen und Füßen klettern wir hinauf. Immer und immer wieder geht es hinunter in eine Mulde, die mit rutschigem Schnee gefüllt ist, und wieder hinauf. Die Aussicht ist null. Kopf und Körper besingen den Untergang des Motivationslandes. Mehrere Stunden stochern wir durch Nebelwände, Gesicht und Hände kalt und klamm.

 

Dann schließlich das Tal der Erleuchtung: Wir blicken in eine grüne Ebene mit Vulkankratern, die wie mit saftigem Samt überzogen scheinen. Hinab geht es und heraus aus der Wolkenschicht. Gut, mein Freund nimmt das etwas zu wörtlich und schottert erstmal auf dem Hintern ein paar Meter ins Tal, um zu testen, wie sich Vulkanstein auf Handballen auswirkt. Es blutet. Tolles Experiment.

 

Im Tal haben wir unsere erste Flussüberquerung. Etwas, vor dem wir beide großen Respekt haben. Zu Fuß einen Fluss zu überqueren, ist auf vielen Ebenen riskant. Unvorhersehbare Tiefen, Felskanten unter Wasser, eisige Temperaturen, starke Strömungen. Gegen vieles kann man sich durch genaue Beobachtung (wo sind stehende Wellen zu sehen?), Ausrüstung (Gummischuhe mit geschlossenen Kappen über den Zehen) und Tricks (seitlich gehen, in Gruppen untergehakt) schützen. Trotzdem bleiben viele unbekannte Variablen. An dieser Stelle ist zum Glück ein Seil gespannt, an dem man sich festhalten kann. Das eisige Wasser schmerzt trotzdem an meinen Knöcheln und Beinen und selbst der eher harmlos aussehende Bach hat in der Tiefe ordentlich Strömung.

Ein Ort zum Träumen in Hvanngil

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Surreale Landschaft - kein Filter, keine Bearbeitung

Der letzte Abschnitt der Etappe führt uns durch mehr und mehr grüne Berge und Vulkane, die aussehen wie ein surrealer Windows-Desktophintergrund, den eine schlechte KI erstellt hat. Zu grün sind die Berghänge, zu krass der Kontrast zur schwarzen Lava unter dem Bewuchs. Dann noch das neongrüne Gras, das wie eine gezeichnete Kante an blauen Flüsschen wächst und im Hintergrund ein mächtiger, weißer Gletscher. Ein paar Mal bleibe ich stehen und klimpere mit den Augenlidern wie die Maus aus der Sendung mit der Maus. Das kann nicht echt sein. Nirgendwo sieht es so perfekt aus. Das ist unmöglich.

Und doch ist es hier. Auf dem Laugavegur. Wieder – ein Zauber auf jedem Meter.

 

Unser zweiter Tag auf dem Trail endet in einem geschützten Tal zwischen Lavabrocken und Vulkansand. Hvanngil. Wir schlagen unser Zelt auf; es fühlt sich an, als wären wir auf dem Mond. Es liegt ein absoluter Frieden über diesem Ort. Da sind keine Städte, keine Autos, keine Elektrizität (für Handys und Kameras sollte man Powerbanks mitbringen) und kein Lärm. Wir sind hier, mitten in Island – und egal, was es sonst noch an Orten auf der Erde geben mag: Dieser ist ohne Zweifel einer der schönsten.

 

Im zweiten Teil unseres Wanderberichts geht’s um die letzten beiden Etappen und restlichen 27 Kilometer auf dem Laugavegur – mit Starkregen und Sturm, zwei tiefen Flüssen, einer absoluten Marslandschaft und Islands Urwald: Durch Flüsse, zum Mars, zum Ziel: Fernwanderung Laugavegur Island II.

 

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