Kathmandu: Zwischen bunten Tempeln, blauen Gasen und dem Leben nach dem Tod.

18. November 2023

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Kathmandu: Bunt und voller Leben

„Liegt der Tempel auf der anderen Straßenseite?“, brüllt mein Freund. Dreitausend Mofas und Motorräder donnern an der abgebrochenen Bordsteinkante in beiden Richtungen in wüster, anarchischer Eskalation vorbei. Da es in Kathmandu keine Ampeln oder Verkehrsschilder gibt, hört das auch einfach nicht auf. Also nie. Eine Szene, die das Verkehrschaos im italienischen Neapel aussehen lässt wie ein englischer Landschaftsgarten.

„Ja!“, brülle ich durch den Smog zurück.

„Gut. Dann kommen wir da wohl nicht hin!“

 

Kathmandu, die Hauptstadt Nepals, ist für Menschen aus westlichen Kulturen wie eine Center-Shock-Kaugummiblase, die alle zwei Sekunden neu platzt und dabei Gold, Konfetti, Einhörner, Staub, Lärm, Götter der Zerstörung und undefinierbare Dämpfe ausspuckt. Es ist nicht die Stadt, die niemals schläft, sondern die Stadt, wegen der man nicht schlafen kann, weil einem nachts die Sinne blinken von dem, was man tagsüber gesehen hat.

Affen flitzen über bunte Tempel, Gebetsmühlen rattern, und im Fluss unter der Brücke schwimmt die Asche von Verstorbenen vorbei.

 

Eine Woche lang laufen wir 30 Kilometer durch Kathmandu, querbeet und in jede Gasse, die sich vor unserer Nase auftut. Ist es gefährlich? Haben wir es geschafft, uns die Stadt anzusehen, ohne jemals eine Straße überqueren zu müssen? Und falls nicht: Was passiert mit dem Leben nach dem Tod?

How to über die Straße gehen in Kathmandu

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Straßen Kathmandus - hier eher harmlos

Wir gehen jetzt einfach los! Wie in Italien!“, rufe ich, während ich mit schlotternden Knien auf die Straße trete und weiß, dass es einfach mal überhaupt gar nicht so ist wie in Italien, sondern eher, als hätte jemand den Nürburgring nach Neu-Delhi verlegt. Ein Motorrad mit Mann, Frau und drei Kindern auf dem Sitz kommt auf uns zugerast. Ich gehe weiter. Die Family macht einen super-spontanen, aber zugleich lässig-geübten Schlenker um uns, bremst dabei sieben weitere Motorräder aus, während ein Taxi deshalb durch ein zehn Meter tiefes Schlagloch kachelt und eine winzige Frau in einem roten Sari den von uns ausgelösten Flügelschlag eines Schmetterlings ausnutzt, um auf die andere Seite der Straße zu huschen. So geht das also.

 

Nachdem wir die ersten Straßen mit latenter Todesangst überquert haben, stelle ich zwei Sachen fest: a) Wir leben noch und sind auf der anderen Straßenseite, b) Nepalesen haben eine Reaktionszeit, die so krass ist, dass es knallt, wenn sie die Schallmauer durchbricht.

Spoiler: Eine Woche zu Fuß durch den Verkehrstornado von Kathmandu und keinen einzigen Unfall gesehen. Nicht mal eine Schramme am Ellbogen.

Affentheater auf Swayambhunath

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Ausblick auf Kathmandu mit Narren und Affen

Zeit, sich auf andere Dinge zu konzentrieren, die– Alter, sind da jetzt gerade Affen mit voller Absicht und Freude von den Bäumen in diesen Tümpel am Straßenrand gesprungen?

Ihr Fell trieft, während sie aus dem Wasser klettern, auf der Reling entlangrennen und mit eleganten Drehungen erneut reinspringen. Wie cool ist das denn? Erinnert mich irgendwie an die Sommer im Freibad in meiner Heimatstadt und an mich selbst als Kind.

Warum müssen wir Menschen Bomben auf andere Menschen werfen und können nicht einfach verdammten Spaß haben, so wie die Affen?

 

Überhaupt scheinen Affen in Kathmandu eine Art Narrenfreiheit zu haben. Ihre Schaltzentrale ist die Swayambhunath Stupa. Treppe rauf, Treppe runter, über das Tempeldach geklettert, kurzer Stopp, um aus einem goldenen Wasserbecken zu süffeln, dann weiter zur Mauer. Pause. Philosophischer Blick auf Kathmandu.

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Die wunderschöne Swayambhunath Stupa - immer noch eingerüstet

Wir stehen neben einer Schale, aus der Flammen schlagen, vor uns die Affen, hinter uns die allsehenden Augen Buddhas auf der goldenen Säule der Stupa. Eine Stupa ist eine Kuppel aus Stein, in der ursprünglich indische Herrscher bestattet und im frühen Buddhismus Reliquien des Buddhas und bedeutender Mönche aufbewahrt wurden. Die Swayambhunath Stupa wurde wie viele andere Gebäude im Kathmandu Valley bei dem großen Erdbeben 2015 beschädigt und ist bis heute eingerüstet.

 

Obwohl Nepal eines der ärmsten Länder der Welt ist und das Geld für Reparaturen knapp, erscheinen uns die Menschen extrem fleißig und – wie in vielen Teilen der Welt – extrem (gast)freundlich.

Eines Morgens gehen wir durch eine Gasse, in der drei Männer unter großen Anstrengungen mit Äxten alte Steine weghacken, am übernächsten Abend ist die Straße neu gepflastert. Komplett. Fertig. Mit Blumenmuster.

Mit Helmut Kohl nach Bhaktapur – Welterbe und Erdbeben

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Bhaktapur - der zentrale Platz mit Tempeln und Statuen

Apropos Erdbeben 2015. Das hat leider auch einige UNESCO-Welterbe-Stätten im Kathmandu Valley in Schutt gelegt. Am Jahrhunderte alten Durbar Square in Kathmandu hangelt sich ein Arbeiter an einem Seil über das Dach von einem der vielen Tempel auf dem Platz. Er prüft jede einzelne Schindel. Auch wenn das Beben schon einige Jahre her ist und vieles – auch durch internationale Hilfe – wieder hergestellt ist, erkennt man die Zerstörungskraft der Natur immer noch gut an den wunderschönen Gebäuden.

 

Noch beeindruckender als den Durbar Square in Kathmandu finden wir den Tempelplatz in der wesentlich ruhigeren Stadt Bhaktapur, die zu den drei Königsstädten im Tal gehört. Von Kathmandu aus sind es etwa 40 Minuten mit dem (unfassbar günstigen) Taxi nach Bhaktapur. Und auch wenn man bei den Straßenverhältnissen in Nepal für 100 Kilometer gerne mal rund sechs Stunden braucht, ist hier jeder Taxifahrer, Busfahrer und Guide immer um Zuverlässigkeit und Höflichkeit bemüht.

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Das Haus der 55 Fenster in Bhaktapur

In Bhaktapur befindet sich nicht nur das Haus der 55 Fenster, für das Architekturstudenten aus der ganzen Welt anreisen, sondern auch ein kleiner Pavillon, vor dem eine Tafel in deutscher Sprache aufgestellt ist. Ich schaue zweimal hin. Steht da echt was von Helmut Kohl? Helmut Kohl In Bhaktapur? Was macht der da? Es sieht so aus, als hätte seine Regierung damals Geld locker gemacht, um den kunstvollen Pavillon – zerstört bei einem anderen großen Erdbeben, 1935 – originalgetreu wieder aufzubauen. Ein paar Nepalesen bleiben stehen und zeigen mir lächelnd ihre erhobenen Daumen. Helmut Kohl! Germany!

Mein Freund nickt. „Helmet Cowl! We call him Little Buddha.” Alle freuen sich.

Aha, kann der Affe Mensch also auch mal Dinge aus Schutt wieder aufbauen, statt sie nur in Schutt zu zerlegen.

 

Und weil wir gerade darüber reden: Das Gefährlichste an Kathmandu sind plötzliche Erdbeben und der erdrückende Smog (FFP2-Masken-Revival!). Ansonsten haben wir nirgendwo und zu keiner Tageszeit ein ungutes Gefühl gehabt. Ehrlich gesagt habe ich mich in Kathmandu sicherer als in Berlin oder New York gefühlt.

Pashupatinath: Öffentliche Kremierung & die Freude über das Leben

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Öffentliche Verbrennung der Toten am Pashupatinath Tempel

Ein Ort, der mich neben vielen bewegenden, spirituellen, lauten und leisen Plätzen in Kathmandu am meisten berührt, ist der Pashupatinath Tempel. Der Ort, an dem öffentlich die Toten verbrannt werden. Ich persönlich finde die Art und Weise, wie wir in Deutschland mit dem Tod umgehen, ziemlich bedrückend. Man soll am besten nicht darüber sprechen, nicht hinschauen, schwarze Klamotten anziehen und einen Stein draufstellen. Boah nee, kann ich ja gar nichts mit anfangen!

In anderen Kulturen – wie Mexiko oder der Karibik – gibt es farbenfrohe Umzüge und bunte Grabmale mit Urlaubsfotos und Lieblingsgegenständen der Verstorbenen. Die Menschen tanzen, singen und feiern das Leben des Verstorbenen.

 

Am hinduistischen Pashupatinath Tempel kann jeder – ob Hindu, Nepalese oder Tourist – vorbeikommen und bei der Verbrennung der Toten zuschauen.

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Wo gehen wir hin?

Die Körper werden in die heilige Farbe Orange gekleidet und dann auf einem Stapel Holz niedergelegt. Angehörige zelebrieren Riten, bevor der Verstorbene angezündet wird. Er brennt etwa drei Stunden. Danach wird die Asche in den Fluss Baghmati gestoßen, der später in den heiligen Ganges mündet. Die Seele der Person ist zu dem Zeitpunkt schon längst gegangen, der Körper wird mit den Elementen der Natur vereinigt.

 

Wir beobachten die brennenden Stapel am Ufer des Flusses. Gegenüber lassen Frauen Schalen mit Blumen ins Wasser gleiten. Vergänglichkeit ist etwas, mit dem wir uns aufgrund unseres Altersunterschieds schon seit Langem – und aufgrund der Krebserkrankung meines Freundes auch seit Kurzem – immer wieder offen beschäftigen. Schweigen ist keine Option. Manchmal müssen wir den Dingen, die uns am meisten Angst machen, offen entgegentreten, um sie wenigstens ein bisschen zu verarbeiten und zu verstehen. Zu sehen, wie natürlich die Menschen hier mit dem Tod umgehen, ist bewegend. Werden wir wiedergeboren? Treffen wir auf einen Gott? Begleiten uns unsere Angehörigen nach ihrem Tod als Schutzengel weiter durchs Leben? Ist da einfach nichts? Fragen, die jeder für sich klären muss und für die Orte wie der Pashupatinath eine offene Einladung sind.

 

Berichte über unsere Nacht im Dschungel im Chitwan National Park und unseren Trek im Himalaya gibt’s bald hier.

Kommentare: 1
  • #1

    Andreas Henke (Sonntag, 19 November 2023 21:17)

    Ich finde es sehr beeindruckend
    Eure Reise, die Eindrücke.
    Es is einfach wunderschön.
    Liebe Grüße
    Andreas

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